• Das zentrale Werbemotiv der Sparkassenorganisation konnte nun auch von den Ost-Sparkassen verwendet werden. : © Historisches Archiv des Ostdeutschen Sparkassenverbandes

Weltspartag 1990 – die Ost-Sparkassen feiern wieder mit

Der Weltspartag hat eine lange Tradition. Ausgerufen 1924 in Mailand auf dem Ersten Internationalen Sparkassenkongress, sollte er als Feiertag des Sparens ein wichtiges Signal für den wirtschaftlichen Neuanfang nach der Inflationszeit sein.

Seitdem wird er jedes Jahr Ende Oktober von den meisten Banken und Sparkassen begangen. Auch die Sparkassen in den ostdeutschen Bundesländern nahmen am 30. Oktober 1990 die Tradition wieder auf.

Von Hagenow bis Chemnitz und von Nordhausen bis Görlitz – überall wurde im Vorfeld kräftig die Werbetrommel gerührt. Es gab Zeitungsanzeigen, Postwurfsendungen, Plakate, Radiospots und vieles mehr. Die Sparkassen nutzten alle Kanäle der Kundenansprache und waren damit erfolgreich. Die zahlreich erschienenen Kundinnen und Kunden sowie alle Interessierten konnten sich am Tag selbst über kleine Werbegeschenke, Kulturveranstaltungen und Preisauslosungen freuen. Mancherorts hatte der Weltspartag sogar Volksfestcharakter.

Wie zum Beispiel bei der Sparkasse Erfurt. Auf dem Anger vor dem Erfurter Dom stand eine große Bühne, auf der mehrere Musikgruppen auftraten und Podiumsgespräche mit Sparkässlern stattfanden; Marktstände, ein Straßenzirkus und eine Puppenbühne rundeten das Bild ab.

Neben den vielen Vergnügungen spielte auch die finanzielle Beratung der Kundinnen und Kunden eine wichtige Rolle. So stand auf dem Erfurter Anger eine mobile Sparkassenfiliale, in der man sich über die neueingeführten Sparkassenprodukte ausführlich aufklären lassen konnte.

Die Sparkasse in Halle nutzte den Weltspartag 1990 zum großen Teil für den Aufbau von Partnerschaften für das Jugendmarketing. Sie organisierte in verschiedenen Wohngebieten Kinderfeste und bezog die ansässigen Schulen mit ein.

Alle Sparkassen berichteten im Nachgang von gelungenen Veranstaltungen und freuten sich über die positive Resonanz der Teilnehmenden. Der Weltspartag war im Osten wieder angekommen.

Auch wenn heutzutage die klassischen Sparformen wenig ertragreich sind, ist es sicher kein Fehler, den Weltspartag zum Anlass zu nehmen, sich über seine Vermögensbildung und Altersvorsorge Gedanken zu machen.

  • Viele Kunden hielten trotz verlockender Konkurrenzangebote auch nach der Wirtschafts- und Währungsunion ihrer Heimatsparkasse die Treue. Im Bild: Eröffnung der Zweigstelle Holleben der heutigen Saalesparkasse Halle nach der Modernisierung im September 1991. : © Historisches Archiv des OSV

Der Kampf um Kunden und Marktanteile nach der Wirtschafts- und Währungsunion

Im Herbst 1990 stellte sich in der Sparkassenorganisation die Frage, wie sich der Markt im Osten des wiedervereinigten Landes weiter entwickeln würde. Hatten die Sparkassen der ehemaligen DDR eine reale Chance, ihre Kundschaft zu behalten, den hohen Marktanteil von 85 Prozent auf dem Gebiet der Spareinlagen zu sichern und gleichzeitig den eher geringen Marktanteil im Kreditgeschäft auszubauen? Oder gab es bei den Bürgern eher eine Tendenz zur Verlagerung des Kontos? Immerhin stand die Konkurrenz seit Einführung der D-Mark mit Containern vielerorts bereit und bot ihre zahlreichen Produkte aktiv an …

Um Klarheit zu bekommen, wurde mit der Einführung der Wirtschafts- und Währungsunion eine Umfrage ausgewertet, die der Deutsche Sparkassen- und Giroverband einige Wochen zuvor beauftragt hatte. „Sie sollte vor allem Erkenntnisse über die psychologische Wettbewerbssituation der DDR-Sparkassen im Verhältnis zu den sich neu etablierenden westdeutschen Banken bei der Bevölkerung liefern.“ Von Interesse waren außerdem die mit dem eigenen Geldinstitut gemachten Erfahrungen sowie die bestehenden Veränderungswünsche.

Die qualitative Studie mit insgesamt 25 befragten „unselbständigen“ Sparkassenkunden und 20 Selbständigen/Existenzgründern in verschiedenen Bezirken der DDR verdeutlichte „grundlegende Einstellungsdimensionen“, die sich durch die weitere Entwicklung im Osten des Landes auch bestätigten. So kristallisierte sich im Ergebnis eine ermutigende Ausgangslage für die ehemaligen Sparkassen der DDR heraus. Denn eine uneingeschränkte Wechsel-Bereitschaft zu einer BRD-Bank war nicht zu erkennen. Vielmehr wollte die Mehrheit abwarten und sich von den tatsächlichen Vor- und Nachteilen ein eigenes Bild machen.

Verbesserungswürdig waren nach Auffassung der Befragten insbesondere Leistungsangebot und Service der Heimatsparkasse. Die Existenzgründer wünschten sich zudem eine rasche und einfache Kreditgewährung sowie effektive Beratungen. Für die Marktforscher ganz erstaunlich war, dass es „trotz mannigfaltiger Unzufriedenheiten […] starke Solidarisierungen mit der ‚eigenen‘ Sparkasse/Zweigstelle“ gab und dass „die meisten den Idealfall darin sehen, daß die eigene Sparkasse möglichst schnell westlichen Standard erreicht.“

Anfang Oktober 1990 konnte der Präsident des Ostdeutschen Sparkassen- und Giroverbandes, Rainer Voigt, die Studie und damit die Einschätzung des bundesdeutschen Dachverbandes bestätigen: „Die DDR-Bürger halten ihren angestammten Sparkassen weitgehend die Treue!“

Er ging jedoch schon damals davon aus, dass es wohl nicht möglich sein werde, alle Kunden bei den ostdeutschen Sparkassen zu halten. Gleichzeitig konnte er den bis dahin erzielten Erfolg der gesamten deutschen Sparkassenorganisation würdigen, weil „der massenhafte Abzug von Einlagen in Richtung der anderen Banken noch nicht eingetreten“ war. Die bereits eingeleiteten Verbesserungen, die im Interesse der Kundschaft lagen und den in der Studie festgestellten Wünschen entsprachen, wirkten sich bereits spürbar aus:

  • Flächendeckendes Angebot und Verkauf neuer Produkte im Sparverkehr
  • Neubelebung des Kreditgeschäfts in seiner ganzen Vielfalt
  • Strukturelle Umgestaltung und Modernisierung der Geschäftsstellen

Am Ende des Jahres präsentierte Rainer Voigt auf der Tagung der Vorsitzenden der Verwaltungsräte der Sparkassen der fünf neuen Bundesländer – „trotz harter Konkurrenz“ – ein positives Ergebnis: Der Marktanteil war mit etwa 80 Prozent im gesamten Spargeschäft „seit 1. Juli 1990 […] weitgehend konstant“ geblieben und die neu ausgereichten Kredite umfassten in den ersten Monaten nach der Währungsunion „rund 1,5 Mrd. DM an die klein- und mittelständischen Betriebe in eigenem Risiko.“*

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*Quellen: Sparkassen-Werbedienst, 10, 1990, S. 221ff; Voigt, Rainer: Rede des Präsidenten des Ostdeutschen Sparkassen- und Giroverbandes auf der Betriebswirtschaftlichen Tagung des DSGV in Bonn, 3.10.1990, überarb. Entwurf; Voigt, Rainer: Rede zur Tagung der Vorsitzenden der Verwaltungsräte der Sparkassen im November/Dezember 1990, Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-Günther 10/2004.

  • Deckblatt der von einer sozialistischen Arbeitsgemeinschaft der Sparkassen des Bezirks Halle ausgearbeiteten Broschüre - Bestand: Historisches Archiv des OSV

Sozialistische Sparkassenarbeit

Auch in der DDR wurde Sparkassengeschichte geschrieben, zum Beispiel vor 50 Jahren von einer sozialistischen Arbeitsgemeinschaft der Sparkassen im Bezirk Halle. Sie veröffentlichte eine Erfolgsbilanz der Jahre seit 1945, die zeittypisch ideologisch geprägt ist. So wurde etwa der Begriff „Nationalsozialismus“ vermieden. Das Ende des Zweiten Weltkriegs und des „Faschismus“ markiere einen Neubeginn. Die Sparkassen wurden geschlossen, neue Sparkassen ohne Rechtsnachfolge gegründet. „Sie stellten etwas völlig Neues dar und hatten auch ihrem Wesen nach mit den bisherigen Sparkassen nichts gemeinsam.“ Außerdem habe sich der Spargedanke verändert. Vorsorgesparen sei im „ersten deutschen Arbeiter-und-Bauern-Staat“ nicht mehr notwendig.

„Die Regierung der DDR garantierte von Anfang an den Bürgern die Sicherheit ihrer Spareinlagen. Sie konnten sich mit Optimismus und Zuversicht für ein Sparen aus neuen Motiven entscheiden. Die Beweggründe für das Sparen liegen nicht mehr in den Existenzsorgen und der Lebensunsicherheit kapitalistischer Verhältnisse begründet. Der für das kapitalistische System typische Werbespruch ‚Spare in der Zeit, so hast du in der Not‘ hat bei uns keine Berechtigung mehr. Die Bürger unserer Republik sparen, weil sie sich ihr persönliches Leben immer schöner gestalten wollen. Sie tun es im Bewußtsein, daß sich die sozialistische Wirtschaft krisenfrei und planvoll im Interesse aller Werktätigen entwickelt und damit alle Voraussetzungen hat, daß die Spareinlagen nicht mißbraucht werden.“

Aufgabe der „volkseigenen“ Sparkassen war es, die „Arbeiterklasse“ entsprechend der ihr zugedachten Rolle in der Gesellschaft zum Hauptträger der Spartätigkeit „zu entwickeln“. Im Auftrag der „Partei der Arbeiterklasse“ und der Regierung wirkten die Sparkassen als sozialistische Geld- und Kreditinstitute der Bevölkerung, so heißt es in der Schrift. Ihre große volkswirtschaftliche Aufgabe war zunächst, „das Sparen bei den Bürgern unserer Republik zum Bedürfnis werden zu lassen“. Das wurde staatlich gefördert. Für die individuelle Spartätigkeit sei dabei die nur unter sozialistischen Verhältnissen mögliche Verankerung der Garantieerklärung der Regierung für die Einlagen im Statut der Sparkassen 1956 sehr wichtig gewesen. Mit verschiedenen Zwecksparformen und Werbemaßnahmen wurde das Sparen populär gemacht. 1970 war die Gewinnung von Sparern dann nicht mehr vordringlich.

„Die hochentwickelte Spartätigkeit der Bevölkerung in der DDR nimmt heute innerhalb des sozialistischen Lagers den führenden Platz ein. Das war möglich, weil das Bewußtsein der Bevölkerung, ihr Vertrauen zum Staat sowie zu den Sparkassen und Banken gewachsen war und sich das Realeinkommen aller Klassen und Schichten erhöhte.“

Aber was geschah mit den ganzen Spareinlagen? Das Geld wurde nicht wie zuvor „den Herrschaftsgelüsten des deutschen Imperialismus geopfert“, sprich zur Kriegsfinanzierung genutzt. Dass den Sparkassen 1958 die Finanzierung und die Kontrolle des gesamten Wohnungsbaus als Aufgabe übertragen wurde, beweise die Übereinstimmung der gesellschaftlichen mit den persönlichen Interessen. Im Sozialismus diene nämlich jedem einzelnen, was der Gesellschaft nütze. Im Bezirk Halle, der sich zum „Chemiezentrum“ der DDR entwickelte, erlebte der Wohnungsbau mit Hilfe der Sparkassen einen enormen Aufschwung. Die Bilanz war eindrucksvoll.

„Der Aufbau der Chemiearbeiterstadt Halle-Neustadt stellt einen besonderen Schwerpunkt dar. Um die für die Chemiegiganten Leuna und Buna notwendigen Arbeitskräfte zu konzentrieren, wurde 1964 mit dem Bau einer modernen, sozialistischen Wohnstadt begonnen. Die Zahlen der bis Ende 1969 gebauten und von der Sparkasse Halle finanzierten Wohnungen und Gemeinschaftseinrichtungen zeigen die große Rolle der Spareinlagen als Finanzierungsquelle:

  • Wohnungsneubau 10 850 Wohnungen
  • Schulen 6 480 Plätze
  • Kindergärten 2 480 Plätze
  • Kinderkrippen 1 018 Plätze“
  • Blick in die Sonderausstellung des Museums Alte Lateinschule in Großenhain : © Museum Alte Lateinschule

  • © Museum Alte Lateinschule

  • Sächsiche Zeitung Großenhain vom 31. Mai 1990 : © Museum Alte Lateinschule

  • Schlangen vor der Sparkasse im Großenhainer Rathaus am 1.-2. Juli 1990 : © Museum Alte Lateinschule

  • Sparkassenbuch (Leihgabe Ostdeutscher Sparkassenverband) : © Museum Alte Lateinschule

Die D-Mark ist da!

Die Währungsunion am 1. Juli 1990 in Großenhain

Zum 30. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 zeigt das Museum Alte Lateinschule in Großenhain bei Meißen die Ausstellung „Von der Friedlichen Revolution zur deutschen Einheit“. Aus Großenhainer Sicht werden die Ereignisse der Umbruchszeit 1989–1990 mit Fotos, Objekten und Zeitungsartikeln nacherzählt. Zu den prägendsten Momenten dürfte neben dem Mauerfall der 1. Juli 1990 gehört haben. Der Staatsvertrag zur Währungs-, Wirtschafts-und Sozialunion trat in Kraft. Für 16 Millionen DDR-Bürger bedeutete dies: Die (lang ersehnte) D-Mark ist da! Aus Ost-Mark-Konten wurden über Nacht D-Mark-Konten.

Diesem Ereignis ist in der Ausstellung eine eigene Vitrine gewidmet. Bereits am 31. Mai informierte die Kreissparkasse in der Sächsischen Zeitung über den Ablauf. Ab 11. Juni konnte der notwendige Umstellungsantrag für das Hauptumstellungsskonto eingereicht werden. Dort erfolgte die Vorzugsumstellung für 2000, 4000 oder maximal 6000 Mark im Verhältnis 1:1 (je nach Lebensalter). Ein Original-Sparbuch, eine Leihgabe des Ostdeutschen Sparkassenverbands, markierte das Umstellungsguthaben mit einem zusätzlichen „DM“-Stempel. Weitere Guthaben wurden am 7. Juli im Verhältnis 2:1 umgestellt, halbierten sich also. Um die Liquidität zu sichern, wurde empfohlen, zunächst nur kleine Beträge für den Bedarf der ersten Woche abzuheben, maximal 2000 DM. Trotzdem bildeten sich vor der Sparkasse im Großenhainer Rathaus bereits am 1. Juli lange Schlangen. Selten sei die Stadt am Sonntag so belebt gewesen, schrieb die Zeitung danach.

Die Versorgung mit dem neuen Geld war ein organisatorischer Kraftakt. Ein Schreiben der Kreissparkasse Meißen aus dem Archiv des Ostdeutschen Sparkassenverbands überliefert die bestellten Geldmengen: 490.000 1 DM-Stücke (700 Beutel mit je 700 Münzen), 250.000 2 und 5 DM-Stücke wurden von der Staatsbank angefordert. Kleinmünzen bis 50 Pfennig waren zunächst weiterhin gültig. Sogar die in Großenhain stationierte Nationale Volksarmee war beim Geldtransport im Einsatz.

Und was passierte dann? Wie die Sächsische Zeitung berichtet, herrschte am ersten Einkaufstag abwartende Zurückhaltung vor. Die Geschäfte waren mit den neuen Preisen und Angeboten genauso beschäftigt wie die Kunden. Was kosten die neuen Waren? Was kann man sich mit dem neuen Geld überhaupt leisten? Das Sparkassen-Plakat „Was man für sein Geld bekommt“ sollte über die Kaufkraft der neuen Währung aufklären: Konsumgüter wie ein Farbfernseher, eine Waschmaschine oder eine Polstergarnitur kosteten jetzt weniger als die Hälfte. Willkommen in der schönen neuen Warenwelt! Kein Wunder, dass die Eröffnung des Massa-Marktes am 20.8. in einer alten Fabrikhalle lange Staus verursachte. Was das Plakat verschwieg: Güter des täglichen Bedarfs oder der Gaststättenbesuch wurden meist teurer. Kostete die Cola (Ost) in der HO-Gaststätte Bayrischer Hof bisher 45 Pfennig, wurden ab 2. Juli für die Cola (West) nun 1,60 DM fällig.

Die am Schluss der Ausstellung gestellte Frage „Ist der 3. Oktober für Sie ein Anlass zum Feiern?“ kann deshalb zweifellos sehr unterschiedlich betrachtet werden. Immerhin: Die deutliche Mehrheit der Ausstellungsbesucher bilanziert die deutsche Wiedervereinigung positiv.

Das Museum bedankt sich für die Unterstützung des Archivs des Ostdeutschen Sparkassenverbands Berlin!

Dr. Jens Schulze-Forster, Museum Alte Lateinschule, Kirchplatz 4, 01558 Großenhain, www.museen-grossenhain.de

  • © Historisches Archiv des OSV

Tag der Deutschen Einheit 1990: Alles bleibt anders bei den ostdeutschen Sparkassen

Teil 55 – Nachwort zum Serienende

Am 3. Oktober 1990 ist die DDR Geschichte. Kein Jahr ist seit dem Mauerfall 1989 vergangen. Der politische und gesellschaftliche Umbruch, der sich zwischen diesen beiden geschichtsträchtigen Ereignissen mit rasanter Geschwindigkeit vollzogen hatte, mündet vor 30 Jahren in der Wiedervereinigung zweier deutscher Staaten, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Hinter den Ostdeutschen liegen aufregende und hoffnungsvolle Wochen seit dem 9. November 1989. Vor ihnen liegen Jahre der Um- und Neuorientierung, verbunden mit neuen Chancen und Herausforderungen. Viele haben bereits begonnen, ihr Leben komplett neu zu organisieren, wieder die Schulbank zu drücken. Eine Zeitzeugin wird sich Ende der 1990er Jahre erinnern, dass eine „andauernde schöpferische Unruhe“ einsetzte, die auch später nicht mehr nachließ.*

Die Beschäftigten der ostdeutschen Sparkassenorganisation treiben in dieser Zeit mit großem persönlichen Einsatz den Transformationsprozess Richtung Marktwirtschaft voran. Unsere Blogserie unterstreicht die beeindruckende und enorme Kraftanstrengung, die damit verbunden war. Am 3. Oktober 1990 beginnt auch Rainer Voigt, Präsident des Ostdeutschen Sparkassen- und Giroverbandes, seine Rede in Bonn mit einem Blick auf das nahezu unfassbare Entwicklungstempo, mit dem die Menschen in Ostdeutschland nun umgehen mussten:

Als im vorigen Herbst die moralische Kraft wirksam wurde, die das alte Regime mit friedlichen Mitteln zum Abtreten zwang, begannen damit die Veränderungen, die als ‚Wende‘ in die deutsche Geschichte eingehen werden. Wer von uns hätte jedoch damals daran geglaubt, daß eine solche Entwicklung, wie wir sie seitdem miterlebt, und ich glaube sagen zu dürfen, auf unserem Gebiet auch mitgestaltet haben, in diesem historisch kurzen Zeitraum möglich wäre.**

Was die ostdeutsche Sparkassenorganisation bis dato alles geschafft hat, kann sich nicht nur sehen lassen, sondern stellt auch die Weichen für ihre erfolgreiche Zukunft:

  • Loslösung von der Staatsbank
  • Aufbau eines eigenen Verbandes und damit Anknüpfung an traditionelle Strukturen
  • Währungsumstellung, inkl. Bearbeitung von über 14 Mio. Anträgen, was laut Voigt „ein wesentlicher Beitrag […] zur schnellen Herbeiführung der Einheit Deutschlands“** war
  • Beginn der rechtlich-strukturellen Anpassung an bundesdeutsche Verhältnisse
  • Start von Investitionen in die Zukunft: Bau, Sicherheit, EDV
  • Erweiterung der Produktpalette im Sparverkehr und im Kreditgeschäft
  • Einstellung neuer Mitarbeiter (seit Juni 1990 sind es insgesamt 3.000) und deutliche Erhöhung der Anzahl der Auszubildenden
  • Start einer umfassenden Qualifizierungsoffensive
  • Reaktivierung tatsächlicher kommunaler Bindung

Ohne die finanzielle und personelle Unterstützung der westdeutschen Sparkassenorganisation wäre das alles nicht möglich gewesen. Zahlreiche Unterlagen aus unserem Archiv, aber auch aus dem Archiv des DSGV, die wir für die Serie ausgewertet haben, belegen, dass „mit westdeutscher Hilfe einerseits eine hohe Effektivität in der Umgestaltung erreicht, andererseits aber auch eine gewisse Eigenständigkeit erhalten und verteidigt werden“ konnte.***  Heinrich Haasis, 2006 bis 2012 Präsident des bundesdeutschen Dachverbandes, fasst Jahre später zufrieden zusammen: „[…] die in die ostdeutschen Sparkassen gesetzten Hoffnungen haben sich erfüllt.“ Denn sie schafften es, „wettbewerbsfähige Sparkassenstrukturen“ aufzubauen.****

Doch am 3. Oktober 1990 bedeutet das Ankommen in der Bundesrepublik Deutschland bei aller Freude vor allem auch ein Nachdenken „über den weiteren Weg zueinander“.*****

Zu den vordringlichsten Aufgaben gehören nun:

  • Fortsetzung der Strukturangleichung
  • Aufbau einer engen Bindung zu den Kommunen, inkl. Hausbank-Funktion, sowie Unterstützung beim Ausbau der regionalen Wirtschaft durch Ausweitung der Kreditaktivitäten
  • Abschluss der Arbeiten im Rahmen der Währungsumstellung
  • Vereinheitlichung der Technik und rasche Modernisierung
  • Aus-, Fort- und Weiterbildung in allen Sparkassen
  • Umsetzung des Vorstandsprinzips in der Sparkassenleitung, verbunden mit der Ausarbeitung einer neuen Geschäftspolitik
  • Vollständige Integration in die bundesdeutsche Sparkassenorganisation******

Dass diese und weitere Vorhaben in den Folgejahren erfolgreich bewältigt wurden, zeigt eine Studie zur Wendezeit Ende der 1990er Jahre. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass „die ostdeutschen Sparkassen mit verblüffender Geschwindigkeit auf das westliche Modell umgestellt werden konnten“ und dass „dieser Prozeß selbst wiederum im Wesentlichen von den Mitarbeiterinnen der Sparkassen getragen wurde.“ Deutlich wird auch, dass die Angleichung an „westliche Standards […] nicht zu einer vollkommenen Überformung geführt [haben], sondern bestimmte Eigenheiten der ostdeutschen Entwicklung […] trotz einer starken Relativierung erhalten geblieben“ sind und dass die Sparkassen im Bereich Finanzdienstleistungen eindeutig zu den Protagonisten „im Aufschwung Ost“ gehören. Eine der herausragenden Feststellungen der Studie ist sicherlich, dass die ostdeutschen Sparkassen bewiesen haben, „daß es möglich war, die Umgestaltung zugleich sozial verträglich […] und wirtschaftlich erfolgreich zu vollziehen.“*******

Im 20. Jubiläumsjahr konstatiert die Wissenschaft im Rückblick auf die „Deutsche Wiedervereinigung“:

Beim Zusammenwachsen der Bundesrepublik und der früheren DDR haben die Sparkassen, Raiffeisen- und Genossenschaftsbanken ihre Leistungsfähigkeit bewiesen […] Heute sind die Sparkassen und Genossenschaftsbanken in den neuen Bundesländern oft die einzigen Institute vor Ort.********

Von Vorteil waren dabei nicht zuletzt auch die Erfahrungen, eine „langfristig erfolgreiche Entwicklung auf der Basis eines ausgewogenen Verhältnisses von Kontinuität und Wandel zu gründen“, sowie die Gemeinsamkeiten zwischen ost- und westdeutschen Sparkassen, auf denen sich in der Wendezeit eine Zukunft aufbauen ließ:

  • gleicher Name und damit Grundlage für eine gemeinsame Identität
  • öffentlich-rechtliche Trägerschaft sowie öffentlicher Auftrag
  • Regionalprinzip und Beschränkung auf das Geschäftsgebiet
  • Marktführerschaft im Privatkundengeschäft*********

Auch wenn unsere Serie an dieser Stelle endet, so werden wir in loser Folge selbstverständlich über die Entwicklung des Ostdeutschen Sparkassenverbandes und seiner Mitgliedssparkassen weiterhin berichten. Denn gewiss ist: „Vor 30 Jahren …“ setzt sich auch in den kommenden Monaten und Jahren fort – oder um es mit Rainer Voigt zu sagen: „Man muß mit uns rechnen!“**********

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*Sparkassen im Wandel – wie Phönix aus der Asche. Teilstudie, ca. 1998 [unvollständige Fassung], S. 19, Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-Günther 6b/2004. 

**Voigt, Rainer: Rede des Präsidenten des Ostdeutschen Sparkassen- und Giroverbandes auf der Betriebswirtschaftlichen Tagung des DSGV in Bonn, 3.10.1990, überarb. Entwurf, Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-Günther 10/2004.

***Sparkassen im Wandel – wie Phönix aus der Asche. Teilstudie, ca. 1998 [unvollständige Fassung], S. 11, Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-Günther 6b/2004. | Die Studie (S. 14) ergab auch, dass u. a. der Tag der Währungsunion aufgrund seiner vielschichtigen Symbolkraft und des praktischen Vollzugs der Einheit „als einer der wesentlich bedeutenderen Schritte zur deutschen Einheit reflektiert [wird] als etwa der formale Akt ihrer Herstellung am 3. Oktober 1990.“

****Haasis, Heinrich: Sparkassen als Motor der inneren Einheit Deutschlands, in: Deutschland 20 Jahre nach dem Mauerfall, Rückblick und Ausblick, Wiesbaden 2010, S. 158.

*****Voigt, Rainer: Rede des Präsidenten des Ostdeutschen Sparkassen- und Giroverbandes auf der Betriebswirtschaftlichen Tagung des DSGV in Bonn, 3.10.1990, überarb. Entwurf, Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-Günther 10/2004.

******Vgl. dazu auch Holtmann, Claus Friedrich ; Morales, Wolfram: Ostdeutsche Sparkassen im Wandel der Zeit, in: Deutschland 20 Jahre nach dem Mauerfall, Rückblick und Ausblick, Wiesbaden 2010, S. 168 ; Voigt, Rainer: Rede des Präsidenten des Ostdeutschen Sparkassen- und Giroverbandes auf der Betriebswirtschaftlichen Tagung des DSGV in Bonn, 3.10.1990, überarb. Entwurf, Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-Günther 10/2004.

*******Sparkassen im Wandel – wie Phönix aus der Asche. Teilstudie, ca. 1998 [unvollständige Fassung], S. 31, 13, 37, 38, Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-Günther 6b/2004 | Rainer Voigt bezeichnet die Sparkassen 1990 als „Hoffnungsträger“ und „Teil der Identität“ der Ostdeutschen, die ein „positives Signal für die Bürger, daß sie es schaffen werden“ aussenden können. Dies sei aus seiner Sicht gerade „in einer zur Zeit stagnierenden, teilweise sogar schrumpfenden DDR-Wirtschaft, die viele Unsicherheiten für die einzelnen Bürger mit sich bringt, insbesondere die Sorge vor Arbeitslosigkeit“ bedeutsam. Vgl. Voigt, Rainer: Rede des Präsidenten des Ostdeutschen Sparkassen- und Giroverbandes auf der Betriebswirtschaftlichen Tagung des DSGV in Bonn, 3.10.1990, überarb. Entwurf, Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-Günther 10/2004.

********Otte, Max: „Finanzplatz Deutschland“ versus deutsches Bankensystem – Zwei politökonomische Perspektiven für die Zukunft, in: Deutschland 20 Jahre nach dem Mauerfall, Rückblick und Ausblick, Wiesbaden 2010, S. 191.

*********Zitat im Absatz: Sparkassen im Wandel – wie Phönix aus der Asche. Teilstudie, ca. 1998 [unvollständige Fassung], S. 37, Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-Günther 6b/2004 | Haasis, Heinrich: Sparkassen als Motor der inneren Einheit Deutschlands, in: Deutschland 20 Jahre nach dem Mauerfall, Rückblick und Ausblick, Wiesbaden 2010, S. 144; Wysocki, Josef ; Günther, Hans-Georg: Geschichte der Sparkassen in der DDR 1945 bis 1990, 2. Aufl., Stuttgart 1998, S. 147-149.

***********Schlusssatz von Rainer Voigt in seiner Rede zur Tagung der Vorsitzenden der Verwaltungsräte der Sparkassen im November/Dezember 1990 zum Thema „Die geschäftspolitische Lage der ostdeutschen Sparkassen im Bankwettbewerb“, überarb. Entwurf, Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-Günther 10/2004 | Der letzte Absatz lautet in Gänze:  „40 Jahre Planwirtschaft sind eine lange Zeit! / Wir verdrängen sie nicht, wir verarbeiten sie / – schnell! – / Man muß mit uns rechnen!“

  • Siegel der vor 190 Jahren eröffneten Sparkasse : © Historisches Archiv des OSV

Von den Anfängen der Sparkasse in Görlitz

Sechs Jahre, nachdem die Landstände der Niederlausitz eine in mehreren Kreisen wirkende Sparkasse mit Sitz in Lübben gegründet hatten, trat auch für die preußische Oberlausitz solch eine Flächensparkasse ins Leben. Die Kommunalstände gründeten die Oberlausitzer Provinzial-Spar-Kasse, die am 1. Oktober 1830 die Geschäftstätigkeit aufnahm. Ihre Verwaltung oblag dem Ständischen Landsteuer-Amt in Görlitz. Angebunden war eine Nebenkasse. In weiteren neun Städten existierten solche Einrichtungen, deren Zuständigkeit sich zunächst auf den Sparverkehr beschränkte. Die Sparkasse nahm Einlagen schon ab zehn Silbergroschen (Sgr.) an und berechnete Zinsen ab einem Taler (Thlr.). Menschen aus den unteren Gesellschaftsschichten, insbesondere jüngere, wurden in einer Bekanntmachung vor der Eröffnung als Zielgruppe angesprochen.

„Ein Silbergroschen, welcher von der Geburt eines Kindes an bis zu dessen 15ten Jahre wöchentlich zurückgelegt und wenn das Zurückgelegte 10 Sgr. beträgt, jedesmal in die Sparkasse eingezahlt wird, machet 33 Thlr. 7 Sgr. aus und ist bei dessen Eintritte in die Lehrzeit, eine bedeutende Beihülfe zum Lehrgelde und anständiger Bekleidung. Fünf Silbergroschen, die ein Geselle wöchentlich, anstatt auf den Tanzboden oder in Bierhäuser zu tragen, zur Sparkasse einzahlt, wachsen in 20 Jahren bis zu 246 Thlr. 29 Sgr. 4 1/2 Pf. an. Ein Dienstbote, der vierteljährig 4 Thlr. Lohn bekommt und davon regelmäßig 1 Thlr. in die Sparkasse einlegt, hat nach 20 Jahren ein Kapital von 114 Thlr. 29 Sgr. 7 1/2 Pf., und heirathet er eine Person, die eben so vorsichtig gehandelt, so haben sie zusammen 229 Thlr. 29 Sgr. 3 Pf., wovon sie sich ein Haus kaufen, ihr Hauswesen einrichten, oder die Betreibung eines für sie vortheilhaften Gewerbes anfangen können.“

Aber nicht nur für das Fortkommen im Leben, sondern auch für Notzeiten, etwa die Arbeitslosigkeit, gelte es, rechtzeitig Rücklagen zu schaffen. Nicht, dass die letzte Kuh oder der Hausrat verkauft werden müsse. Außerdem solle an die Zeit des Alters und der Krankheit gedacht werden. Es sei nicht gut für den Ruf, Hilfe von der Gemeinde zu erflehen oder im Armenhaus zu suchen. Wenn Gott dem Sparer seine Lebenstage verlängere, vermehre sich sein Vermögen weiter und er könne ein wohlerworbenes Gut hinterlassen. Die Erben wären dankbar, würden seinem Beispiel folgen und selbst Sparkassenkunden werden. Mit solchen Ausführungen wurde vor 190 Jahren die Selbstvorsorge propagiert, nicht nur in Görlitz. Die Sparkasse galt als wohltätige Einrichtung, die helfen konnte, die Lebensumstände der „kleinen Leute“ zu verbessern. Hilfe zur Selbsthilfe hieß das Prinzip.

In der Präambel der Satzung stand, dass mit der Gründung der Sparkasse die „unbemittelten“ Einwohner des preußischen Teils der Oberlausitz Gelegenheit bekamen, ihre kleinen Ersparnisse unterzubringen. In der Realität wurden, wie andernorts auch, nicht ausschließlich ärmere Menschen Kunden und genossen die Vorteile einer sicheren und zinsbaren Geldanlage. So zeigt beispielsweise die Aufstellung der Ende 1830 bei der Görlitzer Nebenkasse des Instituts bestehenden 193 verzinsten Konten lediglich 44 Stück unter zehn Taler. Das dickste Konto betrug 300 Taler. Auf dem Sparbuch mit der Nr. 1 lagen 99 Taler, 16 Silbergroschen und 6 Pfennige. Interessant erscheint im Zusammenhang mit der Frage nach der Herkunft, dass gemäß Statut niemand verpflichtet war, dem Rendanten Auskunft über seinen gesellschaftlichen Stand zu geben.