• Die LBS Ostdeutsche Landesbausparkasse AG bringt 1990 das Bausparen zurück nach Ostdeutschland. Fortan gilt auch hier der 1970 entstandene Slogan: "Wir geben ihrer Zukunft ein Zuhause - LBS". : © Historisches Archiv des OSV

  • Die jüngste deutsche Landesbausparkasse hat ihren Sitz in Potsdam, Am Luftschiffhafen 1. Seit 1993 ist sie eine 100%ige Tochter des Ostdeutschen Sparkassenverbandes und seiner Mitgliedssparkassen. : © Historisches Archiv des OSV

  • Mittlerweile ist die LBS Ost „30 Jahre Zuhause in der Region“. Zum Jubiläum gibt es eine ganz besondere Aktion: Für jeden abgeschlossenen Bausparvertrag im Jahr 2020 wird ein Euro an die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald gespendet und damit ein Beitrag zum Erhalt der regionalen Umwelt geleistet. : © Jubiläumsbanner an der MBS Arena Potsdam, Historisches Archiv des OSV

Eigenes Heim, Glück allein – Bausparen ist wieder möglich

Blogserie, Teil 40

Mit der neuen Währung ist ab dem 2. Juli 1990 der Abschluss eines Bausparvertrages auch in der DDR möglich. Der Minister für Bauwesen, Städtebau und Wohnungswirtschaft, Axel Viehweger, unterzeichnet symbolisch drei Tage zuvor auf einer Pressekonferenz in Berlin den ersten Vertrag des Landes. Damit gibt er den Startschuss für eine ganz neue, zielgerichtete Sparform in der DDR, die gleichzeitig zur Vermögensbildung gut geeignet ist. Mitteilen kann er den Journalisten an diesem historischen Tag, dass der Ministerrat staatliche Fördermaßnahmen für das Bausparen beschlossen hat. In Aussicht gestellt werden in Analogie zum bundesdeutschen Bausparen, jedoch mit zusätzlichen Anreizen für einen begrenzten Zeitraum, etwa Prämien und Steuervergünstigungen sowie ab 1991 eine Arbeitnehmersparzulage. Zinsverbilligungen um drei Prozent für Vor- und Zwischenkredite sollen den Beginn der Bau- und Modernisierungsaktivitäten beschleunigen.*

„Mit den DDR-Sparkassen haben wir den Start gut vorbereitet“, erklärt der Geschäftsführer der Landesbausparkasse Münster in einem Zeitungsinterview zehn Tage zuvor.** So würden im Rahmen der Partnerschaften den 196 DDR-Sparkassen westdeutsches Know-how und die notwendige Technik zur Verfügung gestellt. Auch die Rahmenbedingungen stimmen: Denn die damals zwölf Landesbausparkassen (LBS) der Bundesrepublik und der Sparkassenverband der DDR schaffen mit der „LBS-Beteiligungs-GmbH“ die gemeinsame Grundlage für eine neue Landesbausparkasse, die mit der Währungsunion ausschließlich auf dem Territorium der DDR aktiv wird. Für die Kunden bedeutet das: Sie bekommen einen eigenen Spartopf.***

Warum das so wichtig ist, wird deutlich, schaut man sich das Geschäftsmodell näher an: In einem Vertrag legen Kunde und Sparkasse eine Gesamtbausparsumme fest. Daraufhin folgt eine Zeit des Ansparens mit ganz individuellen regelmäßigen Raten und/oder Sonderzahlungen. Ein Zinssatz zwischen 2,5 und 4 Prozent ist 1990 für das Guthaben festgeschrieben. Anschließend beginnt nach einer bestimmten Wartezeit die Zuteilungs- und Darlehensphase. Im Westen warten zu dieser Zeit Sparer der Landesbausparkassen etwa 55 Monate auf die Zuteilung, für den Osten werden nur 44 Monate prognostiziert.**** Damit DDR-Bausparer nicht etwa durch ihre angesparten Mittel die Wartezeit der Bundesbürger verkürzen, bleibt ihr Geld im „eigenständigen Bausparkollektiv“ bei der neu gegründeten Landesbausparkasse. Am Ziel angelangt, erhält der Bausparer zu seinem angesparten Guthaben ein fest – und gegenüber dem seinerzeit üblichen Marktzins von 8 bis 9,5 Prozent ein eher niedrig verzinstes Darlehen. Darin besteht der eigentliche Vorteil des Modells. Berücksichtigt man die attraktiven Förderprogramme des Staates ergeben sich weitere Vorzüge des Bausparens.

Zahlreiche Pressebeiträge klären bereits vor der Währungsunion die Bevölkerung der DDR über das System des Bausparwesens auf.***** Doch wieso ist gerade dieses Finanzprodukt von so großem öffentlichen Interesse? Ein Blick in die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bringt Klarheit. Denn das Bausparen wird hier zur volkswirtschaftlichen Erfolgsgeschichte:

Nach dem Krieg war das Ausmaß zerstörten Wohnraums groß. 40 Prozent des Bestandes war betroffen, sodass der Wohnungsbau in der Wiederaufbauphase schnell in Gang gebracht werden musste. Waren es 1950 erst 300.000 Bausparverträge, stieg die Zahl in den folgenden Jahrzehnten rasant an. 1980 bestanden bereits mehr als 22 Millionen, 1990 sind es schließlich 26 Millionen Verträge mit einem Volumen von ca. 900 Milliarden D-Mark. Bis 1990 beteiligten sich die bundesdeutschen Bausparkassen an der Finanzierung von ca. zehn Millionen Wohnungen. Jeder zweite Haushalt verfügt 1990 über einen oder mehrere Bausparverträge. Die daraus resultierenden Mittel werden bei fast 80 Prozent der Eigenheime bzw. Eigentumswohnungen eingesetzt. Staatliche Förderungen tragen zur weiten Verbreitung und damit zum Erfolg des bundesdeutschen Bausparens wesentlich bei.

Eine ähnliche Entwicklung erhofft man sich nun auch in der DDR. Denn der Wunsch vieler Ostdeutscher nach den eigenen vier Wänden wird im Rahmen der absehbaren Preissteigerungen für Mieten als Potential erkannt. Hinzu kommt, dass Experten das Investitionsvolumen auf ca. 200 bis 500 Milliarden D-Mark schätzen, um den maroden Wohnungsbestand der DDR wieder auf Vordermann zu bringen. Jede zweite Wohnung von insgesamt sieben Millionen muss laut DDR-Bauministerium saniert werden. Kaum noch bewohnbar sind nach bundesdeutschen Maßstäben 1,5 Millionen Wohnungen. Insgesamt weisen etwa 80 Prozent des gesamten Wohnungsbestandes Mängel auf, die einer Behebung bedürfen. Um Sanierung, Modernisierung und Schaffung von Wohneigentum 1990 rasch und im großen Stil voranbringen zu können, ist neben dem staatlichen Wohnungsbau die Mobilisierung von privatem Sparkapital unverzichtbar. Wichtig dabei ist, so auch mahnende Worte in dieser Zeit, dass man die eigenen Sparmöglichkeiten richtig einzuschätzen weiß. Denn der Traum vom eigenen Heim soll am Ende ja nicht zum Albtraum werden.******

Fortsetzung am 06.07.2020

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*Gelder aus dem Staatssäckel als Anschub für Bausparen, in: Neues Deutschland, 45. Jg., 150. Ausg., 30.6.1990, S. 3; Attraktive Bausparförderung nun auch in der DDR, in: Neue Zeit, 46. Jg., 157. Ausg., 9.7.1990, S. 4.

**Bereits auf der Gründungsversammlung des Sparkassenverbandes der DDR am 20. März 1990 rät der soeben gewählte Präsident, Rainer Voigt, zur schnellstmöglichen Bildung einer Landesbausparkasse der DDR. Das Bausparen sollte nicht allein der Konkurrenz überlassen werden, so Voigts Begründung. Quellen: Bausparen aus einem Topf?, in: Neues Deutschland, 45. Jg., 140. Ausg., 19.6.1990, S. 6 (Zitat); Leistungen der Sparkassen nicht länger gebührenfrei?, in: Neues Deutschland, 45. Jg. 68. Ausg., 21.3.1990, S. 3.

***Schauen wir auf 1990 zurück, so bestanden insgesamt noch 30 Bausparkassen in der Bundesrepublik Deutschland, 18 private und 12 öffentliche. Heute sind es laut Verbandsangaben noch 18. Darunter acht Landesbausparkassen, zu denen auch die LBS Ostdeutsche Landesbausparkasse AG als jüngste gehört. Sie blickt in diesen Tagen auf drei erfolgreiche Jahrzehnte zurück. So sind bis Ende 1991 bereits 156.000 Bausparverträge mit einer Summe von 5,1 Milliarden D-Mark abgeschlossen und am 31. März 1992 das erste Bauspardarlehen zugeteilt. Sieben Jahre später wird der einmillionste Bausparvertrag im sächsischen Pleißa unterzeichnet. Nach 25 Jahren hat die jüngste bundesdeutsche Bausparkasse rund 66.000 Immobilien im Wert von über 6,4 Milliarden Euro seit ihrer Gründung vermittelt. Im Laufe der Zeit baute die LBS-Ost ihre Marktführerschaft im Geschäftsgebiet stetig weiter aus. Quellen: div. Geschäftsberichte der LBS Ostdeutsche Landesbausparkasse AG; 25 Jahre LBS Ostdeutsche Landesbausparkasse AG, Oschersleben 2015; 25 Jahre Verbandsarbeit für ostdeutsche Sparkassen, Berlin 2016.

****Bausparen aus einem Topf?, in: Neues Deutschland, Jg. 45, Ausg. 140, 19.6.1990, S. 6; Eignes Heim und eigner Herd sind in Zukunft des Bausparens wert, in: Neue Zeit, 46. Jg., 148. Ausg., 28.6.1990, S. 3.; Dass Wartezeiten durchaus auch höher liegen können, zeigen Zahlen der privaten Bausparkassen von 1989: BHW – 74 Monate, Schwäbisch Hall – 61 Monate, Wüstenrot – 57 Monate, bei einem Standardvertrag mit 40 Prozent geleisteter Ansparsumme. Quelle: Vom „Auferstanden aus Ruinen“ zum Schaffe, schaffe, Häusle baue, in: Berliner Zeitung, 46. Jg., 171. Ausg., 25.7.1990, S. 3.

*****Die Berliner Zeitung widmet sich in der Reihe „Berliner Magazin“ am 30. Juni 1990 sogar ganzseitig dem Thema Bausparen. Neben Erläuterungen des Modells und einem Geschichtsabriss, gibt es auch Beispielrechnungen für eine Modernisierung bzw. für den Erwerb eines Hauses mithilfe eines Bausparvertrages sowie eine umfassende Übersicht von A bis Z, die aufzeigt, dass das Produkt dem Sparer viele Möglichkeiten eröffnet. Außenkamine, Garten, Küche, Malerarbeiten, Türen, Zentralheizungen und andere Dinge mehr lassen sich über diesen Weg sehr gut finanzieren.

******Dass die Mahnungen 1990 nicht unbegründet waren, verdeutlichen die wirtschaftlichen Verhältnisse: Nach der Währungsunion liegt das durchschnittliche Haushaltseinkommen in der DDR von zwei arbeitenden Erwachsenen bei knapp 2.100 D-Mark und das durchschnittliche ersparte Geldvermögen bei etwa 8.000 D-Mark pro Bürger. Im Vergleich dazu betragen das durchschnittliche Monatseinkommen eines vierköpfigen bundesdeutschen Haushaltes 4.118 D-Mark und das durchschnittliche Sparguthaben pro Kopf 45.000 D-Mark. Quellen zu den Daten und Fakten: Berliner Magazin „Bausparen“, in: Berliner Zeitung, 46. Jg., 150. Ausg., 30.6.1990, S. 22; Vom „Auferstanden aus Ruinen“ zum Schaffe, schaffe, Häusle baue, in: Berliner Zeitung, 46. Jg., 171. Ausg., 25.7.1990, S. 3.;  Berndt, Holger: Bausparen in der DDR, in: Sparkasse, 107. Jg., Nr. 6, 1990, S. 266; Mehr historische Informationen zum Thema Wohnen.

  • 30 Jahre Währungsunion - Zeitzeugengespräch mit Ralf Braun, Vorstandsmitglied der Sparkasse Spree-Neiße : © OSV

  • Eine der größten Herausforderungen war, die Warteschlangen zu bewältigen. Also die Währungsumstellung, die organisiert war, auch zu realisieren. Schon morgens gab es teilweise Menschenschlangen von 200 bis 300 Metern – für mich war das unfassbar, erinnert sich Ralf Braun an den Sommer der Währungsumstellung 1990. : © Sparkasse Spree-Neiße

Gekommen, um zu bleiben – Erinnerungen an 1990

Dass sich dieses Land wiedervereinigt
und zwei unterschiedliche Währungssysteme aufeinandertreffen,
das war für mich faszinierend.
Ralf Braun, Vorstandsmitglied der Sparkasse Spree-Neiße

Blogserie, Teil 39

Mit 23 Jahren machte sich Ralf Braun auf den Weg in die DDR. Zum ersten Mal in seinem Leben.  Ziel war die Stadt- und Kreissparkasse Cottbus. Dort wartete man schon auf den jungen Bankkaufmann aus Aachen und freute sich auf seine tatkräftige Unterstützung. Wie Ralf Braun sein Ankommen zwei Tage vor der Währungsumstellung erlebte und welche anschließenden Herausforderungen er für die Sparkasse sah, erzählte er uns in einem Zeitzeugengespräch.*

Herr Braun, wie sind Sie auf die Idee gekommen, in den Osten zu gehen?

Vorweg sei gesagt: Ich lege großen Wert darauf, dass ich keiner von den vielen Glücksrittern bin, die mit einem anderen Grad an Motivation und Hintergrund in die DDR kamen, als ich das jetzt von mir behaupten möchte.

Am 29. Juni 1990 bin ich nach Cottbus gekommen. Durch Seminare des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes. sind wir mit der besonderen Situation im Osten vertraut gemacht worden.** Ich persönlich hatte zum damaligen Zeitpunkt keinerlei Karriereabsichten. Vielmehr war es so, dass es für mich als Mensch, der sozialisiert wurde im kalten Krieg, der mit einem eisernen Vorhang aufgewachsen ist – also in einer vollkommen anderen Welt lebte – ein phänomenales Ereignis war. Dass sich dieses Land wiedervereinigt und zwei unterschiedliche Währungen aufeinandertreffen – konvertierbare und nicht konvertierbare –, das war für mich faszinierend.

Wie sah Ihre Unterstützung zur Währungsunion konkret aus? Vom „Schlange stehen“ einmal abgesehen, hat man als Kunde nicht viel davon mitbekommen, was in den Sparkassen tatsächlich an Arbeit alles angefallen ist.

Ich muss ja eines sagen: Die Mitarbeiter hier habe ich als äußerst engagiert, offen, dynamisch und wissbegierig kennengelernt. Die Währungsumstellung war bereits perfekt vorbereitet. Ich kam hier zwei Tage vorher an, das heißt, ich kam am „heißesten Punkt“ mit dazu. Jeder Westdeutsche, der behauptet, er hätte die Währungsumstellung gemacht, der sagt nicht die Wahrheit. Denn die Vorbereitung geschah schon Monate vorher. Zwei Tage vorher konnte man vielleicht noch ein paar kleinere Anregungen geben, was den Auszahlungs- und Umstellungsprozess anbelangt. Aber die Währungsumstellungsanträge der Bürger waren längst gestellt und wurden ab dem 1.7. umgesetzt.

Die Aufgabe nach dem 1. Juli war vielmehr, das wurde mir sehr schnell bewusst, die Währungsumstellung so schnell wie möglich abzuwickeln. Die Politik hatte der Sparkassenorganisation, und insbesondere den Sparkassen der DDR, quasi das gesamte Projekt übergeholfen. In diesem Punkt werde ich auch nicht müde, diesen Fakt immer wieder zu betonen. Die Wettbewerber stellten ihre frisch angemalten Container hin und hatten Null Aufwand mit den Umstellungsarbeiten. Sie öffneten mit Satellitenschüsseln auf ihren Containern und taten so, als ob es eine Filiale in München, Hamburg oder sonst wo wäre. Dann fischten sie sich gleich aus den Warteschlangen die Sparkassenkunden, um mit ihnen Bankgeschäfte abzuschließen.

Und wir? Etwa ein halbes bis zu einem Jahr hatte jede Sparkasse zu tun, die Folgewirkungen der Währungsumstellung zu bewältigen. Das war eine gigantische Aufgabe. Ich kann mich noch sehr gut an eine Geschichte erinnern, zu der sich ein Bild tief in mir eingeprägt hat: Als mich der damalige Sparkassendirektor in der alten Hauptstelle empfing und die Seitentür öffnete, lagen bis unter die Decke gestapelt auf den vielen Stufen der großen Treppenanlage die Umstellungsanträge. Wenn die Tür aufging, flogen sie auch teilweise herum. Für einen Banker, der mit Diskretion, Seriosität und Zahlenaffinität quasi „auf die Welt gekommen ist“, war das natürlich ein Kulturschock – einer der wenigen übrigens. Trotzdem ist alles gut gegangen. Kein Antrag ging damals verloren.

Was betrachten Sie rückblickend als größte Herausforderung?

Eine der größten Herausforderungen war, die Warteschlangen zu bewältigen, also die Währungsumstellung, die organisiert war, auch zu realisieren. Schon morgens gab es teilweise Menschenschlangen von 200 bis 300 Metern – für mich unfassbar. So etwas hatte ich vorher in meinem Leben noch nie gesehen. Die Leute waren anfangs durchaus geduldig. Doch nach zwei bis drei Wochen, als sie ihre Erfahrungen in der neuen Welt gesammelt hatten, änderte sich das. Die Bereitschaft, sich stundenlang anzustellen, nahm von Tag zu Tag immer mehr ab. Da gab es auch unschöne Szenen.

So ist zum Beispiel in einer völlig überfüllten Halle einmal jemand umgekippt. Ich saß gerade beim Direktor im Büro. Eine Kollegin kam und rief: „Herr Braun, Herr Braun, rufen Sie schnell die SMH!“  Ich wusste nicht, was sie von mir wollte und entgegnete: „Bitte sagen Sie mir, was die SMH ist.“ Sie antwortete: „Na die Schnelle Medizinische Hilfe.“ Ich entgegnete: „Sie meinen also einen Rettungswagen?“ – Als das dann geklärt war, habe ich natürlich sofort angerufen.

Solche Themen hatte man in der Folgezeit laufend. Ich verbrachte dann auch mal mehrere Tage bei den Wartenden vor der alten Hauptgeschäftsstelle. Gemeinsam mit einer Kollegin versuchte ich, die Menschen zu beruhigen. In glühender Hitze verteilten wir auch Getränke.

Wie müssen wir uns das vorstellen, nahmen die Menschenschlangen denn nicht ab?

Nein, für ca. 14 Tage nicht. Vielleicht nahmen sie mal 20 oder 30 Meter ab. Aber ansonsten jeden Morgen dasselbe Bild. Erst als die Bargeldlogistik durch war, beruhigte sich die Situation.

Apropos Bargeld: Gab es eigentlich Schwierigkeiten, die neue D-Mark in die ländlichen Sparkassenfilialen zu transportieren?

Wir sind da sehr pragmatisch vorgegangen. Logistische Themen gab es natürlich immer. Dann haben wir Wartburg, Trabi oder Lada genommen und sind losgefahren, um das Geld zu verteilen. Das war für mich auch das Reizvolle an der Aufgabe. Es gab Dinge, die untypisch waren. Aber sie mussten gelöst werden. Ich bin natürlich ebenfalls losgefahren und habe Geld verteilt – ohne Bewachung, ohne alles.

Damals hatte ich einen MINI Cooper und viele sagten: „Mensch, Ihr Auto ist ja noch kleiner als unser Trabi!“ – Leider waren die Autobahnen so schlecht, dass das nicht lange gut ging. Nachdem ich also mit dem MINI Cooper das Bargeld in der Gegend umhergefahren habe, war irgendwann die Platte vollkommen verschoben. Außerdem setzte ich immer auf, weil der Wagen so flach auflag.

Wie ging es nach dem 1.7. dann weiter?

Die Fragen in der zweiten Phase nach der Währungsumstellung lauteten: Wie stellen wir die Sparkassen auf einen marktwirtschaftlichen Kurs um? Wie sorgen wir dafür, dass der Privatkunde mit Beratungsbedarf, der keine Zeit und Lust hat, sich lange anzustellen, auch gut bedient wird? Wie bauen wir die Kundenberatung auf und welche Produkte bieten wir an? Wie sorgen wir dafür, dass die Einlagen möglichst in der Sparkasse bleiben?

Das waren unsere vordringlichsten Aufgaben, unmittelbar nach Einführung der D-Mark in der DDR. Alle Fragestellungen gingen fließend ineinander über. Daher bauten wir zuerst eine Kundenberatung auf. Für zwei Wochen betätigte ich mich mal eben schnell als Berater. Für die Kunden aus dem Spreewald, die stark einlagenlastig waren und daher unsere Passivseite der Bilanz abbildeten, machten wir einen Sonderschalter auf. So versuchten wir, diese Einlagen bei uns zu halten.

Offensichtlich war außerdem: Es gibt einen Mangel an Raum. Um Diskretion und vertrauliche Beratungsgespräche zu ermöglichen, fehlten Flächen. Den Bedarf, der damals gedeckt werden musste, empfinden Kunden heute als Standard. Wir hatten ca. sieben bis acht Filialen und sind dann schnell auf 23 gegangen, was sehr gut war und gebraucht wurde.

Die Kundenberatung war ja auch mit neuen Produktangeboten in der DDR verbunden. Wie haben die Kunden diese angenommen? Musste der Bedarf erst geweckt werden?

Ja, die Neugier war da; auch der Wissensdrang war groß. Aber es gab keine Selbstläufer. Mit Ausnahme von KNAX vielleicht. Damit sind wir 1990 gestartet im Tierpark Cottbus. An dem Tag gab es einen echten Besucherrekord. Innerhalb von einer Woche hatten wir 10.000 Kinder als Mitglieder. Damit war unser KNAX-Club einer der größten in Deutschland. Diesen Erfolg hat mir auf Sparkassen-Tagungen kein Mensch geglaubt. Aber eine KNAX-Mitgliedschaft hat eben auch eine große emotionale Komponente für die Kinder. Und für unsere Sparkasse war das der Startpunkt für unser sehr solides Fundament im Jugendmarkt. Bis heute ist der KNAX-Club die beste Basis für eine langjährige, vertrauensvolle Kundenbeziehung.

Bei allen anderen Produkten war das nicht so. Denn bei Bankdienstleistungen – egal ob Ost oder West – ist keine Emotionalität vorhanden. Das ist typisch für unser Geschäft. Es ist eben kein Auto. Es geht höchstens um Absicherung von Risiken, um die Altersvorsorge und so fort.

Wo Emotionalität tatsächlich spürbar wurde, das war beim Wohnungsbaukreditgeschäft und beim Unternehmertum. Beides hat sich explosionsartig entwickelt und die Umsetzung war zu diesem Zeitpunkt sehr anspruchsvoll. So gab es zum Beispiel bei den Kunden, die sich selbständig machen wollten, keine Erfahrungswerte zu ihren unternehmerischen Qualifikationen. Auch war ihr Eigenkapital gleich Null. Es musste also eingeschätzt werden: Ist der Mensch dir gegenüber ein Unternehmertyp? „Ja“ oder eher „Nein“? Für uns ist das ein Risikogeschäft gewesen.

Beim Wohnungsbaukreditgeschäft stand der Wunsch nach einem eigenen Haus, nach Umbauten und Sanierungen im Vordergrund. Diese Geschäfte haben sehr viel Spaß gemacht. Denn die Kunden waren froh, Kredite zu bekommen.

Herr Braun, haben Sie zum Schluss noch eine Anekdote für uns aus der Anfangsphase?

Da gibt es viele Geschichten. Aber ich erinnere mich noch sehr gut an folgende: Etwa 14 Tage nach der Währungsumstellung haben wir an einem Wochenende entschieden, dass wir uns die nicht besonders kundenfreundlichen Schalteraufsätze vornehmen und die gesamte Aufbaustruktur ändern. Erdacht, getan. Mit allen Männern, die in der Sparkasse vorhanden waren, schraubten wir die Aufsätze der Schalter 1-25 ab. Anschließend gestalteten wir Bereiche für Firmenkunden und für Privatkunden, wobei wir letztere nach Buchstaben gruppierten.

Als die Angestellten dann am Montag kamen, wurden sie erst eine halbe Stunde vor der Öffnung eingeweiht. Das war für einige ein Schock: Plötzlich war ihr Schutzschalter weg und sie waren nun von Kopf bis Fuß zu sehen. Die Face-to-Face-Situation war anfangs für einige nur sehr schwer umzusetzen. Uns ist sogar jemand umgekippt wegen der Neuerung. Aber: Innerhalb von nur zwei Wochen hat sich schlagartig der gesamte Kleidungsstil verändert. Niemand wollte etwa mit Schürze oder dergleichen dort sitzen. Das zeigt, wie schnelllebig diese Zeit war. Manchmal mussten über Nacht Lösungen gefunden werden. Gewaltige Veränderungen waren das damals.

Fortsetzung am 02.07.2020

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*Ralf Braun ist seit Januar 2004 Mitglied des Vorstandes der Sparkasse Spree-Neiße und seit nunmehr 30 Jahren im Osten der Republik zu Hause. Nach Lehre und Grundwehrdienst kam er 1990 im Rahmen des „regionalen Partnerschaftsprogramms“ der westdeutschen Sparkassenorganisation nach Cottbus. Die Sparkasse hatte großen Bedarf. Denn der Bezirk war noch „unterversorgt“, was die personelle Hilfe anbelangte, so die Feststellung auf dem Koordinatorentreffen Mitte Mai 1990.

Nachdem die Präsidenten der Regionalverbände Ende Mai und die anschließende außerordentliche Mitgliederversammlung am 18. Juni der zweiten Phase der personellen Hilfe zugestimmt hatten, die über die Währungsunion hinaus eine längerfristige Entsendung von rund 600 Fachkräften westdeutscher Sparkassen ab Juli 1990 sowie die Kostenübernahme vorsah, stand der kontinuierlichen Aufbauunterstützung in Ostdeutschland nichts mehr entgegen.

Auch Ralf Braun blieb nach der Währungsumstellung. In der ersten Zeit arbeitete er als persönlicher Referent des Vorstandes. Seine Aufgabenschwerpunkte waren vielfältig und betrafen neben der Aufbauorganisation der Sparkasse, auch Aus- und Fortbildung, die Neueinführung der Passiv-Produktpalette sowie die gesamte Vertriebspolitik mit Geschäftsstellennetz. Unter seiner Leitung wurden viele wichtige Projekte ein Erfolg, wie die Fusion der Sparkassen Cottbus, Forst, Guben und Spremberg zur Sparkasse Spree-Neiße zum 01.01.1995 und die anschließende Gestaltung des Corporate Design für das neue Haus. Nach der Fusion übernahm er als Marktbereichsdirektor die größte Marktdirektion in Cottbus. Zahlreiche Weiterbildungen und Führungsaufgaben qualifizierten ihn schließlich für die verantwortungsvolle Aufgabe als Vorstandsmitglied für den Marktbereich seit dem 01.01.2004.

Quellen: Vermerk über die Zusammenarbeit mit den DDR-Sparkassen – Koordinatorentreffen am 15./16. Mai 1990 in Berlin, Bonn, 21. Mai 1990; ZZI Ralf Braun, 12.05.2011, Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-75/2004; Niederschrift über die Verbandsvorsteherkonferenz am 28./29. Mai 1990 in Berlin; Ergebnisniederschrift über die Außerordentliche Mitgliederversammlung des deutschen Sparkassen- und Giroverbandes am 18. Juni 1990 in Frankfurt/Main, Bestand: Sparkassenhistorisches Dokumentationszentrum Bonn.

**Seminare bereiteten die westdeutschen Sparkassenangestellten auf ihren Einsatz in der DDR vor. Der Dachverband gab „Informationen für die Sparkassenarbeit in der DDR“ heraus. Im Vorwort dankt er den freiwilligen Helfern und unterstreicht: „Die Umorientierung auf eine Marktwirtschaft ist eine ungewohnte und zugleich ungeheure Aufgabe für die Kolleginnen und Kollegen in der DDR. Die Unterstützung der westdeutschen Mitarbeiter ist deshalb wichtig, weil Erfahrungen im Umgang mit Wettbewerbern und mit ratsuchenden Kunden in der DDR bisher nicht gesammelt werden konnten. Auch die Erweiterung der Produktpalette, die betriebswirtschaftliche Steuerung der Häuser sind neue Aufgaben […] Wir bitten Sie, an diese neuen Aufgaben mit Einfühlungsvermögen und Verständnis für die andersartigen Bedingungen in der DDR heranzugehen.“ Quelle: Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-Günther 9/2004.