• © 1. Stadtkarte/Weg: Google, Kartendaten © 2021 GeoBasis-DE/BKG (©2009); 2. Bild Marienplatz 9: https://www.sparkasse-mecklenburg-schwerin.de; 3. weitere Bilder: Archiv des Ostdeutschen Sparkassenverbandes

  • Sparkasse am Leninplatz (Marienplatz), 1980er Jahre : © Historisches Archiv des OSV

  • Schwerin um 1909 : © Historisches Archiv des OSV

  • Sparbücher aus Schwerin, 1942 und 1905 : © Historisches Archiv des OSV

  • Sieben Skulpturen schmücken das Haus Puschkinstraße/Ecke Lindenstraße. Im Bild die Allegorien auf die Wohltätigkeit, Arbeitsamkeit, Sparsamkeit und das Bewahren des Ersparten. : © Historisches Archiv des OSV

  • Blick in die Ausstellung, Puschkinstraße/Ecke Lindenstraße : © Historisches Archiv des OSV

  • Ausstellungsraum, Detailbild Vitrine : © Historisches Archiv des OSV

  • Unsere kleine Zeitreise endet am Schweriner Schloss, mit garantierter Erholung an oder auf den Gewässern der Stadt! : © Historisches Archiv des OSV

Auf einem Spaziergang durch Schwerin 200 Jahre Sparkassengeschichte erleben

Sommer, Sonne, Städtetrip. Unser Vorschlag für Sie: ein Besuch der sehenswerten Landeshauptstadt Mecklenburg-Vorpommerns. Schwerin. Ein altehrwürdiger Ort, dem bereits 1160 das Stadtrecht verliehen worden ist.

In Corona-Zeiten ist es wahrlich nicht einfach, unterwegs zu sein, geschweige denn, Kultureinrichtungen zu besuchen. Doch ein historischer Stadtrundgang ist immer möglich. Wir haben für Sie anlässlich des Geburtstages der ältesten mecklenburgischen Sparkasse am 5. Juni einen Spaziergang zusammengestellt, der Sie auf die Spuren von Sparkassengeschichte(n) aus 200 Jahren führt:

Wir starten unsere Zeitreise in der Gegenwart, auf dem Marienplatz 9. Hier befindet sich heute der Hauptsitz der Sparkasse Mecklenburg-Schwerin, die mit der jüngsten Fusion in diesem Jahr nun zu den größten der acht Sparkassen in Mecklenburg-Vorpommern gehört. Über 500 Beschäftigte, die Auszubildenden eingeschlossen, stehen mit ihren Beratungsleistungen vor Ort den Menschen der Landeshauptstadt und des Landkreises Ludwigslust-Parchim stets zur Seite, auch in Pandemiezeiten. Die Aktivitäten im Jubiläumsjahr finden Sie hier.

Doch zurück zu unserer

1. Station, Marienplatz 9

Dieser zentrale Ort führte einst die Landstraßen nach Schwerin zusammen. Im 19. Jahrhundert sprach man noch vom „Platz vorm Mühlentor“. Erst 1843 benannte man den Platz um. Er erhielt seinen wohlklingenden Namen nach einer Schwester des Großherzogs Paul Friedrich (1800-1842), Enkel und Nachfolger von Friedrich Franz I., der uns noch einmal begegnen wird auf unserer Tour.

Seit 1938 ist der Platz um einen imposanten Backsteinbau reicher. In das modern ausgestattete Gebäude setzten die Architekten eine Kassenhalle, die mit dekorativen Holzbildhauerarbeiten und Deckenmalereien ausgeschmückt wurde. Es lohnt sich, einen Blick hineinzuwerfen. Die Sparkasse bezog das Haus als „Sparkasse der Landeshauptstadt Schwerin von 1821“ und war fortan in der Straße „An der Sparkasse“ zu finden. Heute, wie schon davor, heißt sie wieder Helenenstraße, ebenfalls nach einer Schwester von Paul Friedrich.

62 Mitarbeiter zählte die Sparkasse damals. Sie arbeiteten mit einem maschinellen Buchungsverfahren für den Giroverkehr, hatten ein automatisches Transportband für Sparbücher zur Verfügung, eine Frankiermaschine und ab 1940 sogar eine Geldzählmaschine. Die Bilanzsumme der Sparkasse betrug 1938 fast 27 Millionen Reichsmark, bereits 1929 war die 10-Millionen-Grenze überschritten worden. Der wachsende Geschäftsverkehr hatte letztlich zum Hausbau und zur Erweiterung des Betriebes geführt. So wurden 1936 fünf Grundstücke gekauft, die der Architekt und Stadtplaner Professor Paul Fliehter mit einem Neubau gestaltete, „der den stärkeren Verkehr abwickelt und zugleich Geschäftszentrum der Stadt ist.“

Bevor wir weitergehen, blicken Sie noch einmal in Richtung Deutsche Bank Filiale, Marienplatz 1-2. Hier gab es 1921 nach der Fusion mit der Vorschuß- und Grundbesitzerbank eine Zweigstelle der 1918 städtisch gewordenen Sparkasse, deren Hauptsitz sich zu dieser Zeit noch in der Königstraße, der heutigen Puschkinstraße, befand.

Zwischenstationen

Auf dem Weg dorthin – zu unserer 2. Station – machen wir einen kleinen Abstecher zu den Ursprüngen der Stadt Schwerin. So geht es vom Marienplatz über die Helenen-, Mecklenburg-, Schmiede- und Bischofstraße direkt zum ältesten Bauwerk der Stadt, dem Dom. Neben dem Schloss gehört er wohl zu den eindrucksvollsten Wahrzeichen Schwerins. Seine Grundsteinlegung fand 1171 statt, also nur wenige Jahre nach der Stadtgründung. Doch bis der ursprünglich romanische Bau, den Heinrich der Löwe persönlich mit einweihte, seinen über 117 Meter hohen Turm erhielt, sollten noch mehr als 600 Jahre vergehen. Erst am Ende des 19. Jahrhunderts war es soweit und damit in jenem Jahrhundert, das bis heute mit seinen zahlreichen Um- und Neubauten das ehemals großherzogliche Stadtbild prägt.

Wenn Sie den Dom besucht und ausgiebig bewundert haben, dann lassen Sie uns die  Bischofstraße weitergehen und auf der Friedrichstraße links abbiegen. Wir stehen nun auf der Arsenalstraße und haben den Pfaffenteich, umgeben von zahlreichen denkmalgeschützten Gebäuden, vor uns. Eine Pracht. Und bevor wir nun die August-Bebel-Straße entlangschlendern, könnten Sie einen weiteren Abstecher in die Arsenalstraße machen. Das Haus Nummer acht beherbergte zwischen 1923 und 1945 die Girozentrale Mecklenburg, eine Zweigstelle der Hannoverschen Girozentrale. Davor war es ein hochherrschaftlicher Hotelkomplex: Stern’s Hotel. 1848 wurde es eröffnet und empfing bis zum Umbau prominente Gäste, wie Richard Wagner oder Fritz Reuter. Nach 1945 fungierte es als Haus der Kultur und noch heute wird es als Kulturzentrum genutzt.

Die Straße weiter hoch finden Sie an der Ecke Arsenalstraße 20 / Wismarsche Straße 127-129 ein Beratungscenter der Sparkasse Mecklenburg-Schwerin für Firmenkunden. Das historisierende Bankgebäude steht ebenfalls unter Denkmalschutz und stammt aus dem Jahr 1905. Die Fassade wurde saniert und erstrahlt nach dreijähriger Bauzeit seit 2018 wieder in neuem Glanz.

Auf dem Rückweg zur August-Bebel-Straße lassen Sie den Pfaffenteich, früher „Mühlenteich“ genannt, einfach auf sich wirken. Hier war der Name tatsächlich Programm. Denn am Ostufer des künstlich angelegten Gewässers bepflanzten Geistliche der Domgemeinde ihre blühenden Gärten. Direkt am See war das sehr praktisch. Linkerhand sehen Sie übrigens einen weiteren Prachtbau, das im Tudorstil in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts errichtete Arsenal. Die einstige großherzogliche Waffenkammer ist heute Sitz des Ministeriums für Inneres und Sport des Landes Mecklenburg-Vorpommern.

Wenn wir nun die August-Bebel-Straße entlanglaufen und rechts auf die Gaußstraße abbiegen, führt uns das geradewegs auf die Schelfstraße, beginnende Puschkinstraße. Wieder nach rechts gewandt, können wir unser Ziel schon sehen, die

2. Station in der Puschkinstraße/Ecke Lindenstraße

Bis zum Umzug zum Marienplatz 1938, aufgrund des stark angewachsenen Geschäftsverkehrs, befand sich in diesem imposanten, hellgelben Gebäude die Hauptstelle der Sparkasse bzw. Ersparniß-Anstalt, wie es damals hieß. Das Haus wurde nach 1990 gründlich saniert, umgebaut und 2018 schließlich verkauft. Der äußerst repräsentative Bau stammt aus den Jahren 1856/57. Er genügte modernsten Sicherheitsanforderungen gegen Feuer und Diebstahl. Der Baumeister, Theodor Krüger, wirkte ebenfalls am inneren Umbau der Schelfkirche mit. Die Kirche, vis-à-vis von der Sparkasse, gehört zu den wenigen barocken Backsteinkirchen Norddeutschlands und war eine der bedeutendsten Grablegen der herzoglichen Familie. Es lohnt sich, auch hier einen Blick hineinzuwerfen.

Doch zurück zum Sparkassenbau. Der Beschluss zum Neubau wurde im Jahresbericht für 1856 dargelegt. Er sollte in einer nicht „zu abgelegenen Gegend der Stadt“ entstehen. Aus diesem Grund entschied man sich zum Kauf von Grundstücken nahe der Schelfkirche, riss die seinerzeit dort stehenden baufälligen Häuser ab und trug damit, wie Sie sich heute noch mit eigenen Augen überzeugen können, zur „Verschönerung der Stadt“ bei.  

Bevor Sie das Gebäude betreten, das seit einigen Monaten einen sehenswerten Ausstellungsraum zur 200-jährigen Geschichte beherbergt, lassen Sie die Fassade einmal auf sich wirken. Der neogotische Stil wurde damals ergänzt durch sechs lebensgroße Skulpturen aus Zementguss. Der auch für den Schlossbau tätige Bildhauer Carl Georg Ludwig Wiese erschuf Allegorien auf die Wohltätigkeit, die Arbeitsamkeit, die Sparsamkeit sowie das Bewahren des Ersparten. Zu bewundern auf der Seite der Lindenstraße. Wenn Sie ganz genau hinschauen, erkennen Sie bei der letztgenannten das im Arm gehaltene und auf dem Knie abgestützte große Hauptbuch der Sparkasse. Es war eines der wichtigsten Arbeitsmittel jener Zeit. Schließlich fand sich jeder Sparer akkurat mit seinen Ein- und Rückzahlungen verzeichnet in diesem Buch wieder.

Auf der Seite der Puschkinstraße, 1856 noch Königstraße, prägen zwei Figuren die Fassade, welche die Klientel darstellen und gleichzeitig typisch waren für Schwerin und Umgebung: der ländliche Arbeiter und der Handwerker. Die meisten Menschen lebten noch bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein in Mecklenburg-Schwerin von der Land- und Forstwirtschaft oder aber von der Fischerei. 1901 kam über dem Eingang eine letzte Skulptur von Ludwig Brunow hinzu: die Gelehrsamkeit. Damit haben wir insgesamt sieben Symbole, die eng mit der Sparkassenidee verbunden sind und wofür Sparkassen auch heute noch stehen.

Zu guter Letzt blicken Sie am Gebäude hinauf und erkennen abermals den romantisierenden Tudorstil mit einer auffallenden Eckausbildung. In großen Lettern wird an den ersten eigenen Sitz an dieser Stelle erinnert: „Ersparniß-Anstalt / eröffnet am fünften Juny 1821, / hierher verlegt am 7. August / 1857.“ Im ersten Stock, über den Geschäftsräumen, dürfen Sie sich die Wohnung des für diesen Neubau verantwortlich zeichnenden Sparkassendirektors und Geheimen Kanzleirats Peter Friedrich Rudolph Faull vorstellen.

Im Jahr 1918, also fast 100 Jahre nach ihrer Gründung, wurde die Ersparnisanstalt eine städtische Einrichtung. Das brachte viele Vorteile mit sich. So gab es keine Höchstgrenze mehr für Spareinlagen und der Scheck- und Überweisungsverkehr wurden aufgenommen. Eine bankmäßige Ausgestaltung des Instituts war nun möglich geworden und wurde vorangetrieben. Ab 1920 konnten Wertpapiere nicht nur sicher verwahrt, sondern auch an- und verkauft werden. Neue Annahmestellen in entfernt liegenden Stadtteilen wurden eröffnet. 1921 schließlich erfolgte die bereits erwähnte Fusion mit der Vorschuß- und Grundbesitzerbank.

Im selben Jahr fanden Verhandlungen mit der Girozentrale Hannover statt, zu der die Girozentrale Mecklenburg als Zweigstelle gehörte. Sie fungierte als Kommunalbank, betrieb kein Spareinlagengeschäft, wie die Sparkasse, sondern übernahm vielmehr deren Bankgeschäfte. Im Ergebnis reduzierte sich der Aufgabenbereich der Ersparnisanstalt wieder auf das Spareinlagen- und Hypothekengeschäft. Ein herber Rückschlag. Aus Ermangelung eigener Räumlichkeiten, bis zum bereits erwähnten Umzug in das ehemalige Hotel Stern’s am Pfaffenteich, kam die Girozentrale in der Königstraße 11 unter und nutzte zusätzlich die Sparkasseneinrichtungen gegenüber. Das Gebäude der Nummer 11 wurde übrigens um 1740 errichtet. Die Geschäftsstelle der Girozentrale nutzte das Eheschließungszimmer im Standesamt, das sich laut Historiker Wilhelm Jesse seit 1900 nicht mehr im Rathaus befand.  Mitte der 1990er Jahre wurde das denkmalgeschützte Haus saniert und beherbergt heute Wohnungen.

Wenn Sie mögen, dann schauen Sie sich unbedingt auch die Ausstellung an. Die Vitrinen zeigen interessante sparkassenhistorische Objekte aus den Sammlungen der Sparkasse selbst und des Ostdeutschen Sparkassenverbandes, wie zum Beispiel Werbung längst vergangener Zeiten, Spiele, Maschinen, frühere Möglichkeiten der Geldaufbewahrung oder auch das Muster der DDR-Geldkarte. Schön ist, dass man im Ausstellungsraum auf der eigenen Reise in die Geschichte auch filmisch begleitet wird.

Haben Sie die Ausstellung gesehen, dann bewegen wir uns weiter und gelangen schließlich zur

3. Station, dem Altstädtischen Rathaus am Markt

Sie brauchen erst einmal eine kleine Verschnaufpause? Kein Problem. Die Puschkinstraße lädt, noch etwas abseits vom touristischen Trubel in der Schloßstraße und rund ums Schloss selbst, mit einigen schönen Lokalitäten zum Verweilen und Erholen geradezu ein. Wieder frisch und gestärkt den Weg anschließend fortsetzend, stehen Sie bald vor dem zweiten Domizil der Schweriner Sparkasse, dem alten Rathaus am Markt. Ein goldener Reiter ziert den Bau – der Stadtgründer Heinrich der Löwe. Zwei Zimmer, über dem Durchgang zum heutigen Schlachtermarkt gelegen, hatte die Sparkasse 1834 angemietet. Ab demselben Jahr erhielt das Rathaus zum Marktplatz hin seine noch heute erhaltene historisierende Fassadengestaltung im Stil der Tudorgotik. Ermöglicht wurde diese Verschönerung durch Sparkassengelder. Denn durch die Vorauszahlung der Miete konnte der Magistrat der Stadt nicht nur „den schon lange beabsichtigten Durchbau des Rathauses“ realisieren, sondern auch das Erscheinungsbild verbessern. Kein geringerer entwarf die Pläne als der Schinkelschüler und Schweriner Schlossbaumeister Georg Adolph Demmler (1804-1886).

Lange blieb die Sparkasse nicht an diesem Ort. Bereits 1856 stellte Direktor Faull im Jahresbericht fest: „Die […] überaus große Ausdehnung des Instituts hatte schon lange eine Unzulänglichkeit des jetzt im hiesigen Rathause […] benutzten Locals dargethan, indem eines Theils eine dringend nothwendige Vermehrung des Cassen-Personals wegen Mangels an Raum unterbleiben mußte, andern Theils der sich stets mehrende Andrang des Publicums in den Terminszeiten große Uebelstände nach sich zog.“  Der Gesamtverkehr, führte Faull weiter aus, „stieg auf mehr als eine Million Thaler.“ Interessant ist, dass der „größere Theil“ der Einlagen seinerzeit nicht aus Schwerin, sondern „aus anderen Städten und vom platten Lande“ stammte. Diese Tatsache tat dem karitativen Wirken der Sparkasse in der Stadt jedoch keinen Abbruch. Entweder vergab sie aus den jährlichen Überschüssen Geldgeschenke oder aber zinslose bzw. niedrigverzinste Darlehen. In den Jahren im Rathaus leistete die Sparkasse einen großen Beitrag, um die Not „ärmerer Volksklassen“ zu lindern. Das war dringend notwendig, denn fast die Hälfte der Bevölkerung galt als hilfsbedürftig. So kam 1856 die Eröffnung einer Suppenanstalt, die Essen auf Marken ausgab, zum richtigen Zeitpunkt. Gleichzeitig förderte die Anstalt den Straßenausbau in Schwerin. Sicherlich haben Sie auf Ihrem Spaziergang schon die Granitplatten entdeckt. Diese Befestigung der Bürgersteige förderte die Sparkasse über Jahrzehnte, ebenso wie die Einrichtung des Krankenhauses und von Schulen.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war das Rathaus schließlich sogar für den Schweriner Verwaltungsapparat zu klein geworden. In der „Geschichte der Stadt Schwerin“ notiert Wilhelm Jesse, dass unter anderem Standesamt, Stadtkasse und Steuerverwaltung ausziehen mussten. Sie fanden schöne Domizile in der Puschkinstraße 11 und 13, gegenüber der Ersparnisanstalt. Und Sie erinnern sich: In der Puschkinstraße 11 zog einige Jahre später die erste Girozentrale für Mecklenburg ein.

Doch nun lassen Sie uns weitergehen zu unserer

4. und letzten Station, zur Schloßstraße 5

Der Puschkinstraße immer weiter nach Süden folgend, Richtung Großer Moor, biegen Sie links in die Schloßstraße ab. Vor der Nummer fünf stehend, stellen Sie sich vor, dass hier, im ehemaligen „Großherzoglichen Hofmarschall Amtsgebäude“ alles seinen Anfang nahm. Schwerin hatte zu dieser Zeit etwa 6.000 Einwohner. Im gesamten Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin lebten nach amtlicher Zählung etwa 380.000 Menschen, als am 5. Juni 1821 eine Sparkasse in einem kleinen Raum ihre Türen denjenigen „Bewohnern der Stadt Schwerin“ und „jedem Auswertigen“ öffnete, die als „minder Begüterte“ galten. Erstmals erhielten diese Bevölkerungsgruppen in der Geschichte Mecklenburgs eine Möglichkeit, „ihre geringen Ersparnisse vortheilhaft zu nutzen; sie gegen Diebstahl und andere Unglücksfälle zu sichern.“ So steht es in den „Grundeinrichtungen der Ersparniß-Anstalt zu Schwerin“ geschrieben, die im Wesentlichen vom Regierungsrat und Förderer der Sparkassenidee in Schwerin Ernst Johann Wilhelm von Schack ausgearbeitet worden ist. Als Vorlage diente ihm die Satzung der Ersparniskasse zu Neufchâtel in der Schweiz, die er in einer Schrift des Rostocker Kaufmanns Christian Friedrich Hennings fand. Nachfolgende Sparkassengründer in Mecklenburg nahmen sich Schacks Werk zum Vorbild.

Genehmigt und bestätigt wurde die wohltätig wirkende Privatanstalt von einem Großherzog, der seit seinem Regierungsantritt bestrebt war, „die Vervollkommnung aller Zustände seines Landes“ voranzutreiben. Der „leibliche und geistige Zustand eines großen Teils seiner Untertanen welcher ihn besonders nahe berührte, nämlich der bäuerlichen Bevölkerung auf den großen Domänen seines Hauses“, lag ihm sehr am Herzen. Die Rede ist von Friedrich Franz I. (1756-1837). Und so liegt es nahe, dass er sich mit eigenem Kapital ebenso an der Absicherung der Sparkasse beteiligte wie angesehene und vermögende Bürger der Stadt, von denen insgesamt zwanzig ehrenamtlich das Vorsteheramt und damit die Verantwortung für die Sparkasse übernahmen.

Die Denkschrift zum 100-jährigen Bestehen, verfasst vom zu der Zeit amtierenden Sparkassendirektor Wilhelm Schober, stellte die Entwicklung kurz nach der Gründung in Zahlen wie folgt vor: Bereits nach fünf Jahren waren 1.900 Sparer zu verzeichnen und die Einlagen auf 95.007 Taler angewachsen. Die anfangs ausgegebenen Aktien, die der Absicherung der Anstalt gedient hatten, waren vollständig zurückgezahlt. Noch vor dem 10. Jahr des Bestehens konnte die erste Million, keine 20 Jahre später die zweite, umgerechnet in Mark 1921, ausgewiesen werden. Die Sparkasse hatte sich besser entwickelt, als von den Gründern je beabsichtigt war. Die Menschen brachten der Anstalt von Anfang an großes Vertrauen entgegen, was sicherlich zu ihrem schnellen Erfolg beitrug. Beides machte es der Sparkasse schon bald nach ihrer Einrichtung möglich, sich in den Dienst „gemeinnütziger Zwecke“ zu stellen.

Das an französische Renaissancebauten erinnernde Hofmarschallamt vor dem Sie nun stehen, das 1834 aufgrund der genannten Entwicklungen zu klein geworden war für die Sparkasse, finden Sie heutzutage in einer architektonischen Version aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert. Zu dieser Zeit hatte Schwerin etwa 40.000 Einwohner. Wie schon erwähnt, prägte insbesondere jenes Jahrhundert und Großherzog Friedrich Franz II. (1823- 1883) mit seinen in Auftrag gegebenen Bauten das Stadtbild neu und machte den Ort zu dem, was wir noch immer betrachten und genießen können: eine repräsentative Residenzstadt.

Hier endet unsere kleine historische Reise durch 200 Jahre Sparkassengeschichte in Schwerin. Vor Ihnen liegt nun das romantisch-prachtvolle Schloss, das zu besuchen, sich immer wieder lohnt. Da es natürlich noch viel mehr zu erzählen gäbe, an dieser Stelle einige interessante Tipps zum Stöbern und Nachlesen:

  • Heimspardose und Blechsparbüchse, von Kollegen im mütterlichen Keller bzw. auf dem Trödelmarkt aufgestöbert und dem Archiv für die Sammlung überlassen. : © Historisches Archiv des OSV

  • Viele Heimsparbüchsen wurden mehrmals im Jahr geleert. Die Anschaffungskosten trugen die Sparkassen. Sie behielten auch oft die Schlüssel. Die Blechspardosen wurden als Werbemittel ausgegeben. Schloss und Schlüssel besitzen sie nicht.

  • Weltspartag in Berlin 1953 - Werbung mit übergroßer Heimspardose : © Historisches Archiv der Berliner Sparkasse

Neuzugang

Ich wurde einmal gefragt, über welche Archivzugänge ich mich am meisten freuen würde. Die Antwort darauf fiel mir ausgesprochen leicht:

Da sind zum einen Sparkassenkunden, die beispielsweise etwas zu Erbstücken wissen wollen oder etwas entdeckt haben. Sind alle Fragen beantwortet, erhalten wir das betreffende Objekt oft für das Archiv. Zum anderen sind da die Kolleginnen und Kollegen. Wenn sie sich an uns wenden, dann ist es für uns in zweierlei Hinsicht toll. Denn sie haben an uns gedacht, sich Gedanken gemacht, bevor sie den für sie selbst unnütz gewordenen Gegenstand entsorgen oder einem Händler zum Kauf anbieten. So wächst unsere Sammlung um Stücke, die wir nicht durch systematische Bestandsergänzung planmäßig anschaffen. Der Überraschungseffekt ist also jedes Mal groß. Gleichzeitig finden wir unseren Eindruck bestätigt, dass wir mit unserer Arbeit wahrgenommen werden und im Hinterkopf der Belegschaft stets präsent sind. Ein schönes Gefühl.

Jüngst haben wir von Kollegen zwei Spardosen der Sparkasse der Stadt Berlin West erhalten. Eine grüne Heimspardose aus den 1950er Jahren und eine bunte Blechspardose aus den 1960er Jahren. Beide Varianten hatten wir noch nicht im Archiv. Auf den ersten Blick ähneln sie sich in der äußeren Form und ihrem Zweck. Beide sollten den Sparsinn wecken und fördern. Doch schaut man genauer hin, erzählen sie zwei sehr unterschiedliche Geschichten.

Das Heimsparkassenprinzip gehörte laut Pohl* seit 1904 zum Kleinsparwesen in Deutschland. Das ursprünglich vom amerikanischen Bankier Walter Francis Burns in den 1890er Jahren entwickelte System verbreitete sich schnell weltweit und wurde in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts auch in Deutschland zum Erfolg. Die Möglichkeit, minimalste Beträge regelmäßig zu Hause sparen zu können, ohne sich gleich mit Pfennigen auf den Weg zur örtlichen Sparkasse machen zu müssen, traf den Nerv der Zeit. Das galt insbesondere auch für die harten Aufbaujahre nach dem Krieg. 1952 fanden sich durchschnittlich 7,10 DM in jeder bundesdeutschen Heimsparbüchse einer Sparkasse. Noch 1963 lag der durchschnittliche Sparbetrag bei 12,10 DM. Fünf Jahre später stellt Schrader** fest, dass die „Summe der seit der Währungsreform eingenommenen Beträge aus allen Kleinsparverfahren […] Mitte 1968 die 10-Mrd.-DM-Grenze überschreiten [wird].“ Keine Kleinigkeit, so sein Fazit. Fast alle bundesdeutschen Sparkassen beteiligten sich am Heimsparbüchsensparen. „Ende 1966 waren mehr als 6 Millionen Spardosen der Sparkassen in Betrieb, nahezu viermal soviel wie Ende 1956“. Der Durchschnittssparbetrag pro Dose nahm fast jedes Jahr zu. Damit verzeichnete diese Sparart die vergleichsweise günstigste Entwicklung unter allen Kleinsparverfahren.

Die zweite Spardose aus den 1960er Jahren reiht sich ein in eine ganze Serie derselben Form, insbesondere aber auch derselben Werbebotschaften: „Wer spart, gewinnt“ und „Sparen macht Freude“. Wir wissen, dass diese Dosen in Berlin West bereits zum Weltspartag 1959 ausgegeben worden sind. Das Motto aus jenem Jahr „Sparen gibt Rückhalt“ klebt breit über einer mit Märchenmotiven gestalteten Blechspardose, die wir bereits im Bestand hatten. Kennzeichnend für die Serie ist, dass sie das Signet der Sparkasse der Stadt Berlin West trägt – ein außergewöhnlich dynamisches „S“, das zwischen 1955 bis 1971 verwendet und von Hans-Joachim Schlameus, Professor an der Hochschule für bildende Künste, heute Universität der Künste Berlin, kreiert wurde. Das Kleingedruckte „KOPPE SO 36“ auf der Spardose verweist auf den Hersteller, die 1888 gegründete Firma Gebr. Koppe AG. Sie ließ sich Anfang der 1950er Jahre in Berlin-Kreuzberg, Schlesische Straße 26 nieder, heute ein stylischer Mietkomplex in einem altehrwürdigen Industriebau aus den Jahren 1910 bis 1913. „SO 36“ verweist auf die frühere Postleitzahl, wobei „SO“ für Kreuzberg-Südost und „36“ für das Zustellpostamt steht.

Die Sparkasse der Stadt Berlin West arbeitete bei der Herstellung der Spardosen also mit einem ortsansässigen Unternehmen zusammen, das bekannt für seine Blechpackungen, Plakate und Tuben war, und ließ sich gestalterisch viel einfallen, um für das Sparen zu werben. Leider sind uns die oder der Gestalter namentlich nicht bekannt, doch anhand der Ergebnisse können wir feststellen, dass die Motive Gefallen gefunden haben und zur Produktion freigegeben worden sind. In den farbenfrohen Darstellungen wurden Themen aufgegriffen, die besonders Kinder in ihren Bann ziehen, wie Märchen, exotische Tiere des Zoos oder die Erforschung der Pole. Andererseits ging es um besondere Anlässe des Hauses, wie zum Beispiel den Bezug der neuen Sparkassenzentrale in der Bundesallee am 2. Juli 1965 oder das 150-jährige Jubiläum 1968. Auf den beiden letztgenannten Spardosen fehlen die Werbesprüche, sodass nichts von den herausragenden Ereignissen jener Jahre ablenkt.

Der Slogan „Sparen macht Freude“ und damit die Propagierung des Spargedankens gehört nach Angaben des Deutschen Sparkassenverlages zu den Schwerpunkten der Sparkassenwerbung in den 1950er Jahren. „Wer spart, gewinnt“ ist ein Motto, das mit dem 1952 neu eingeführten Prämiensparen seinen Anfang nimmt und viele Jahre die Sparkassenwerbung begleitete. 1974 bildete die Aktion mit dem Titel „Wer spart, gewinnt“ sogar den Höhepunkt der Feierlichkeiten zum 50. Jubiläum des Weltspartages. Sie gilt als die bis dahin größte Werbeaktion in der deutschen Sparkassengeschichte. Mit der Kombination aus Sparen und Lotterieteilnahme beim Prämiensparen, kurz PS-Sparen, ist der richtige Anreiz geschaffen worden, um das regelmäßige, langfristige Sparen für breite Bevölkerungsschichten wieder oder überhaupt erst attraktiv zu machen. Die Förderung durch den Staat begünstigte ebenfalls das längerfristige Sparen. In Berlin konnte 1963 die erste Milliarde an Spareinlagen verbucht werden, wobei die durchschnittliche Anlagezeit mehr als drei Jahre betrug. Zum Ende der 1960er Jahre, so berichtet stolz die Chronik, war jeder zweite Berliner Sparkassenkunde.

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*Pohl, Hans [u. a .]: Wirtschafts- und Sozialgeschichte der deutschen Sparkassen im 20. Jahrhundert, Stuttgart, 2005.

**Schrader, Gerhard: Wird Kleinsparen noch großgeschrieben?, in: Sparkasse, 1968. H. 3, S. 41-44.

  • Der sächsische König Friedrich August I. genehmigte nicht nur die Sparkassengründung, sondern gewährte auch einen jährlichen Zuschuss von 100 Talern zu den Verwaltungskosten. (Lithographie von Maximilian Knäbig, 1840; Bestand: Historisches Archiv des OSV) : © Historisches Archiv des OSV

  • Der erste Standort der Dresdner Sparkasse war "am Seethor, dem Wachhaus gegenüber [...]". Sie ist die älteste der heute noch bestehenden Sparkassen in Sachsen. Ihre Satzung wurde Vorbild für viele der danach gegründeten sächsischen Sparkassen.

  • Ein- und Auszahlungen in Konventionsgeld wurden 1821 noch in sog. Quittungsbüchern, den späteren Sparkassenbüchern, vermerkt. Jeder Kunde erhielt ab der ersten Einlage so ein Buch, das bares Geld wert war. Denn Rückzahlungen erfolgten laut Regulativ "unweigerlich an den Ueberbringer des Quittungsbuches; und die Kasse ist jedenfalls nur für den in diesem Buche angemerkten Betrag verantwortlich". : © Sparbuch von 1909, Historisches Archiv des Ostdeutschen Sparkassenverbandes

  • Der Dresdner Schriftsteller Friedrich August Schulze, alias Friedrich Laun, schrieb 1822 den Roman "Die Sparkasse". Er verwendete so viele Details seiner Heimatsparkasse, dass wir uns heute ein sehr realistisches Bild von den Anfängen des damaligen Betriebs machen können.

Für die Menschen vor Ort: Vor 200 Jahren wurde die Dresdner Sparkasse eröffnet

Am 3. Februar 1821, einem Sonnabend, öffnete in Dresden erstmals eine Sparkasse ihre Türen. Zugutekommen sollte diese neue Anstalt den ärmeren Einwohnern der Stadt, „besonders denen der dienenden und arbeitenden Klasse“. Kleine Ersparnisse „sicher und gegen Zinsen“ anlegen zu können, war das erklärte Ziel. Auf diese Weise sollte für schlechte Zeiten vorgesorgt werden. Daher waren Einzahlungen schon ab acht Groschen möglich und durften 30 Taler nicht überschreiten. Für jeden „vollen Thaler“ gab es monatlich einen Pfennig an Zinsen – und zwar schon ab dem ersten Tag des folgenden Monats.

Ähnliche, am Gemeinwohl orientierte, Initiativen hatte es im Königreich Sachsen bisher nur von Standesherren in Königsbrück und Waldenburg gegeben. Beide richteten bereits 1819 örtliche Sparkassen ein und sorgten mit ihrem Privatvermögen für die Absicherung der getätigten Einlagen. Die dritte sächsische Sparkassengründung in der königlichen Haupt- und Residenzstadt hob sich von diesen beiden Unternehmungen deutlich ab. Denn sie ging auf das große Engagement lokaler Kaufleute und Bankiers zurück. Vorbilder dafür gab es lediglich außerhalb des Königreichs.

Einen Denkanstoß für die Entwicklung einer solchen Bürgerinitiative haben wir Polizeirat Johann Daniel Merbach zu verdanken. Er beschäftigte sich 1818 – also bevor es überhaupt Sparkassen in Sachsen gab und zu einer Zeit, da in der Stadt das Armenwesen neu organisiert wurde – ernsthaft mit der Gründungsidee für Dresden. Für ihn war es wichtig, „dem gänzlichen Verarmen und insbesondere den gefährlichen Folgen entgegenzuwirken“. In einem Vortrag vor dem Stadtpolizei-Kollegium unterstrich er, „daß die Sparkassen unter die Verhütungs- und Sicherheits-Anstalten gegen die Gefahr der Armuth, mithin ebenso mit Recht unter die Kategorie der Polizei-Anstalten gehören.“

Der armenpflegerische Hintergrund trug ganz wesentlich zur Entstehung der Sparkasse in Dresden bei. Polizeipräsident von Rochow war derart angetan von dem Gedanken, so eine Anstalt in seiner Stadt zu haben, dass er vertiefende Informationen zu Gründungen in anderen Staaten einholte und Umsetzungsmöglichkeiten in Dresden direkt im Stadtpolizei-Kollegium beraten ließ. Zwei Wege kamen in Betracht: Eine Kopplung an das seit 1768 bestehende Leihhaus oder aber die Inanspruchnahme des Wohltätigkeitsvereins „Zu Rath und That“. Da die Stadt der ersten Variante eine Absage erteilte, blieb noch der Verein. Dieser war bereits seit 1803 in Dresden tätig und hatte sich auf die Fahnen geschrieben, „der Verarmung der Einwohner hiesigen Orts entgegen zu arbeiten.“ Der ideale Partner also für ein altruistisches Projekt wie die Sparkassengründung. Von Rochow war selbst Vereinsmitglied und konnte sich der Offenheit für dieses neuartige Vorhaben sicher sein. Das Problem, das sich jedoch herauskristallisierte, war die Unterbringung und die gewünschte Verzinsung der Sparkassengelder in Höhe von fünf Prozent.

Fast wäre die Gründungsoffensive daran gescheitert. Doch nun traten eben die erwähnten Bankiers und Kaufleute in Erscheinung. Wohlhabende und angesehene Bürger der Stadt, manch einer Mitglied im Verein „Zu Rath und That“ und alle interessiert daran, Gutes zu tun. Sie ersuchten den König, die Sparkassengründung zu genehmigen, boten die ehrenamtliche Übernahme des Betriebs an, zahlten die Zinsen für Sparkassengelder in Höhe von fünf Prozent und garantierten die Sicherheit der Einlagen. Ihr Einsatz wurde belohnt. Drei Tage vor seinem 70. Geburtstag, am 20. Dezember 1820, stimmte Friedrich August I. der Eröffnung der ersten sächsischen Vereinssparkasse zu. Das Regulativ wurde von ihm am 1. Februar 1821 genehmigt. Zusätzlich unterstützte der Monarch das Vorhaben mit 100 Talern pro Jahr zur Deckung der Verwaltungskosten.

Auch die ersten Räumlichkeiten „am Seethor, dem Wachhaus gegenüber“ gehen auf das königliche Wohlwollen zurück. Denn im September 1820 bezog bereits die Schützesche Unterrichts- und Beschäftigungsanstalt für erwachsene Blinde das ehemalige Akzisehaus (Zollhaus) vor dem Seetor. Der König hatte es Heinrich Ferdinand Schütze überlassen, der sich als gut situierter Kaufmann nicht nur für diese Anstalt unermüdlich einsetzte, sondern auch selbst zu den aktiven Sparkassengründungsmitgliedern gehörte. Ab 1821 beherbergte das Gebäude dann zwei wohltätige Einrichtungen für die Stadt Dresden.

Bis die Sparkasse am 16. Mai 1828 von der Stadt Dresden übernommen wurde, entwickelte sie sich zu einem von Grund auf soliden Institut. Bereits im ersten Jahr waren 27.544 Taler auf insgesamt 1.275 Sparbüchern zu verzeichnen. Die Einlagenbestände wuchsen stetig weiter und betrugen 1828 insgesamt 82.435 Taler. Die Einwohner Dresdens nahmen die Möglichkeiten, die ihnen ihre örtliche Sparkasse bot, gern an. Die „Flure des Sparkassengebäudes [sind] voll von Leuten beider Geschlechter und jedes Alters“, führt der zeitgenössische Schriftsteller Friedrich August Schulze, alias Friedrich Laun, in seinem Roman „Die Sparkasse“ 1822 aus und weiter heißt es: „Der Sonnabend ist der Tag, wo die Kasse geöffnet wird […] der Zulauf [ist] so groß, daß das Institut ausdrücklich erklärt hat, Summen über dreißig Thaler nicht annehmen zu können.“

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Buchempfehlung!
Wysocki, Josef: Stadtsparkasse Dresden 1821-1996, Geschichte und Gegenwart, Stuttgart, 1996.

Bildquellen:
Seetor, in: Krause, Bruno:  Die geschichtliche Entwicklung der Königlichen Haupt- und Residenzstadt Dresden vom sorbischen Dorfe an bis zur jetzigen Großstadt, Dresden, 1893.
Portrait F. Laun, in: Friedrich Laun’s gesammelte Schriften, Stuttgart, 1843.

  • gestaltet von Rudolf Pfennigwerth, ca. Ende 1920er/1930er Jahre : © Historisches Archiv des OSV

Weihnachtszeit ist Märchenzeit

Viele städtische Sparkassen förderten ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert den Kleinspargedanken und trugen damit zur Sparerziehung bei. Schön gestaltete Sparkarten, wie diese hier aus Dresden, sprachen besonders Kinder und Jugendliche an. Konnten sie regelmäßig einen bestimmten Betrag – zuerst 10 Pfennige, später oft auch 50 Pfennige – erübrigen, war die Karte oder auch ein kleines Heft schnell bis aufs letzte Feld beklebt mit Sparmarken. Die Gutschrift auf ein Sparbuch erfolgte anschließend bei der örtlichen Sparkasse.

Was bei Kindern und Jugendlichen mindestens genauso gut ankam, waren Märchen. Für Erwachsene aufgeschrieben, von Kindern gern gehört, bietet die besinnliche Weihnachtszeit bis heute einen ganz besonderen Rahmen für phantastische Geschichten und Träumereien. Wie inspirierend Dresden für E.T.A. Hoffmann, einen der bekanntesten Dichter der Romantik, war, lässt sich im „Märchen aus der neuen Zeit. Der goldne Topf“ nachlesen: Am Himmelfahrtstage, nachmittags um drei Uhr, rannte ein junger Mensch in Dresden durchs Schwarze Tor, und geradezu in einen Korb mit Äpfeln und Kuchen hinein, die ein altes häßliches Weib feilbot […]

Entdecken Sie das Märchen, das 1814 in einer schweren, krisenbehafteten Zeit entstand, noch einmal neu und lassen Sie gemeinsam mit unserem Studenten Anselmus, dem Helden der Geschichte, die reale Alltagswelt hinter sich, um in das Reich der Phantasie einzutauchen. Erleben Sie die königliche Haupt- und Residenzstadt Dresden zu einer Zeit, in der nur wenige Jahre später eine Sparkasse eröffnet wurde, um dem gänzlichen Verarmen und insbesondere den gefährlichen Folgen entgegenzuwirken.*

Ja, die Sparkasse in Dresden feiert im kommenden Jahr tatsächlich schon ihren 200. Geburtstag. Doch darüber berichten wir später. Nun ist erst einmal Weihnachten und wir Blogautoren wünschen Ihnen eine gesunde, friedliche & vor allem märchenhafte Zeit!

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*zitiert nach Wysocki, Josef: Stadtsparkasse Dresden 1921–1996. Geschichte und Gegenwart. Hrsg. von d. Stadtsparkasse Dresden, Stuttgart, 1996. S. 13; vgl. auch Böhmert, Victor: Das sächsische Sparkassenwesen von 1821 bis 1881. In: Die Sparkasse, 1883, Nr. 62, S. 3.

  • Claus Friedrich Holtmann, 2011 : © Ostdeutscher Sparkassenverband

„mit Leib und Seele Sparkassenmann“ – Erinnerungen von Claus Friedrich Holtmann

Teil 2

Gestern berichteten wir über Erinnerungen von Weggefährten an Claus Friedrich Holtmann. Im Januar 2013 hatte er Zeit für ein Interview. Wir sprachen mit ihm über die vielen Stationen seines Lebens* und natürlich auch über seine Eindrücke zum turbulenten Jahr 1990 als neuer Prüfungsstellenleiter des Ostdeutschen Sparkassenverbandes.

Herr Holtmann, wie haben Sie Rainer Voigt, den ersten Präsidenten unseres Verbandes, eigentlich kennengelernt und wann kam der Gedanke auf, dass Sie den Aufbau der Prüfungsstelle übernehmen könnten?

Das war im März 1990 in Bonn, am Rande einer Besprechung der Prüfungsstellenleiter im Hotel Poppelsdorf. Dort war die Delegation der DDR untergebracht. Abends kam Helmut Geiger, Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV), auf mich zu und sagte: „Herr Holtmann, Ihnen traue ich den Aufbau einer Prüfungsstelle beim Sparkassenverband der DDR zu. Sprechen Sie einmal mit dem Herrn Voigt und seinen Kollegen. Und erzählen Sie bitte, was Prüfungswesen bedeutet.“ Daraufhin haben wir vielleicht eine halbe Stunde zusammengesessen und geredet. Wie viel dabei rübergekommen ist oder nicht, kann ich nicht sagen. Auf den Rainer Voigt sind damals viele Dinge eingestürzt.

Und wie ging es dann weiter?

Ich habe Rainer Voigt dann erst am 1. September 1990 in Großburgwedel auf dem 50. Geburtstag von Dietrich Hermann Hoppenstedt, damals Präsident des Niedersächsischen Sparkassenverbandes, wiedergetroffen. Ich war zu der Zeit engster Mitarbeiter auf Wirtschaftsprüferseite bei Hoppenstedt. Dort haben wir uns dann noch einmal miteinander unterhalten.

Welche Rolle spielte der Dachverband?

Dem DSGV war zu der Zeit klar, es wird dringend ein Prüfungsstellenleiter hier im Osten gebraucht. Ich kam zu dieser Zeit gerade von einer langen Englandreise zurück. Geiger rief mich an und fragte: „Würden Sie das machen?“ Ohne Nachzudenken antwortete ich: „Natürlich mach ich das!“

Danach ging alles relativ schnell. Ende September gab es Vertragsverhandlungen. Rainer Voigt kam nach Hannover. Sie dürfen in diesem Zusammenhang nicht vergessen: Jemand der in Westdeutschland etabliert war, der hatte damals, wenn er einigermaßen gut war, ja auch eine Chance. Ich hatte zudem eine Rückkehrgenehmigung und damit ein begrenztes berufliches Risiko. Das muss man ganz deutlich sagen. – Ich wäre auch schon im Juni gekommen, aber das habe ich mit meinem Verband in Hannover damals nicht vereinbaren können. Denn dort war ich designierter Prüfungsstellenleiter und man wollte mich nicht gehen lassen.

Rainer Voigt erinnerte sich, dass Sie in einer sehr schwierigen, rechtlich unsicheren Lage die Prüfungsstelle übernommen haben.

Ja, es war tatsächlich so, dass die Bankenaufsicht gesagt hat: „Wenn es euch nicht gelingt, hier innerhalb kürzester Zeit einen Wirtschaftsprüfer zu engagieren, der das Prüfungswesen macht, dann kann man dies nicht mehr als Verband, als Pflichtverband, sehen.“ Also insofern hat Rainer Voigt sicherlich recht mit seiner Aussage.

Voigt und ich hatten übrigens sehr schnell ein gutes Vertrauensverhältnis. Und dadurch, dass ich mich schon immer für strategische Fragen interessiert habe, befasste ich mich relativ schnell auch mit der Strategie unseres Verbandes. Wir erkannten gemeinsam, was man verändern muss. Und wir stellten fest, dass die Lage so aussichtslos nicht ist. Gemeinsam haben wir einige Dinge hinbekommen, mussten aber auch eine ganze Menge Niederlagen einstecken. Denn unter der westdeutschen Überschrift „Wir helfen euch“ gab es 1990 nicht nur wohlmeinende Angebote.

Wie müssen wir uns den Aufbau der Prüfungsstelle vorstellen? Womit haben Sie begonnen?

1990 haben wir uns zuerst die EDV vorgenommen. Das heißt, wir entwickelten unsere Schreibsysteme. – Der Aufbau der Prüfungsstelle hat insgesamt über vier Jahre gedauert. Man war ja umgeben von Schlaubergern. Minister sagten zu mir: „Herr Holtmann, Sie müssen im Prüfen schneller werden.“ Ein Akademieleiter meinte wiederum: „Wissen Sie, wir bilden Ihre Leute in drei Wochen aus, dann kriegen die das Verbandsprüferexamen und dann können Sie loslegen.“ Dass das so nicht umsetzbar war, dass Inhalte dahinterstanden, konnten Sie Außenstehenden nur ganz schwer vermitteln.

Letztendlich führte ich hier vier Jahre lang „einen Tanz auf dem Drahtseil“ auf. Aber ich sorgte dann dafür, dass alle meine Mitarbeiter das westdeutsche Verbandsprüferexamen machen. Wenn ich das mal so sagen darf: Es gab keine Zugabe, keine Zugeständnisse. Ein paar sind auch durch das Examen gefallen. Ich erinnere mich jedoch an einen Kollegen, der hat mit Mitte 50 das Verbandsprüferexamen mit Bravour bestanden. – Unsere Prüfer waren danach natürlich sehr selbstbewusst. Sie hatten jetzt einen guten Abschluss und wir zahlten sofort Westgehälter. Dafür war ich Rainer Voigt dankbar, denn im Verband selbst wurden noch Ostgehälter gezahlt. Wir handelten hier nach dem Prinzip: Wenn ich mir die Leute aus dem Westen einkaufen müsste, wären sie noch teurer als meine eigenen Leute mit einer entsprechenden Ausbildung in der Tasche.

Ich selbst bildete mit Beginn meiner Tätigkeit zwei Jahre lang fast Ort für Ort Innenrevisoren und Hauptbuchhalter in unseren Sparkassen aus. Egal, wo ich später hinkam, begrüßten mich immer auch Mitarbeiter, die bei mir vor Jahren den Fachlehrgang gemacht hatten. Sie bekommen auch etwas zurück, Sie stecken nicht nur rein. Das war schon sehr schön. – Zu Herzen gehende Sätze bekam ich zu hören: In Schwerin tagten wir einmal im Haus des Handwerks, als eine Hauptbuchhalterin – lange, lange pensioniert – zu mir sagte: „Wissen Sie, Herr Holtmann, das ist ja alles ganz merkwürdig. Wenn ich so bilanziert hätte, wie Sie mir das jetzt hier für das Geschäft 1990 sagen, da wäre ich 1989 noch für ins Gefängnis gekommen.“ – Für mich war das so eine Erkenntnis: Sie haben es mit einer zentral geleiteten Planwirtschaft zu tun, die ganz anderen Prinzipien folgt, als ein nach den Prinzipien des Kapitalismus gesteuertes System. Eindrucksvoll, ja, Sie waren 1990 mittendrin in einer Veränderung.

Welche Erinnerungen haben Sie an Ihr Ankommen im Osten?

Ich bin am 1.11.1990 hier angekommen, nachdem ich dreizehn Stunden auf der Autobahn zwischen Hannover und Berlin zugebracht hatte. Es war sozusagen ein Stau, der in Hannover anfing und in Berlin aufhörte. Ich kam im Hotel, ein Hochhausgebäude auf dem Alexanderplatz, an und residierte dort im 27. Stock.

Als ich in der Prüfungsstelle in der Otto-Braun-Straße eintraf, richtete man gerade mein Büro ein. Meine Sekretärin war damals auch schon dabei. Wir hatten immerhin drei Telefonanschlüsse. Aber nur für eine Woche. Danach führte der Verband eine zentrale Getränkeverteilung durch und der Status der Prüfungsstelle stellte sich so heraus, dass sie ihren Telefonanschluss verlor. – Allerdings nur für 1 ½ Stunden. Dann ist sozusagen der Blitz dort hineingefahren und dann hatten wir ihn wieder. Nun, das war so die Anfangsphase. –  Eine große deutsche Firma riss die Telefonleitungen später ganz heraus. Weil die das wohl für Quatsch hielt. Das heißt, dann hatten wir gar keine Anschlüsse mehr. Also alles, was man sich so vorstellt, wie der kleine Fritz sich die Deutsche Einheit vorstellt. Bis hin zu der Tatsache, dass wir mit unseren Fragen zum Telefonieren nach Westberlin fahren mussten. – Dann fanden wir jemanden, der eine Standleitung kannte, die zum Bahnhof Alexanderplatz ging und sich dort an das Westnetz anschließen ließ. Mit der Vorwahl 9 konnten wir uns dann sofort vom Büro aus einwählen. Das war eine Leitung, die 1961 gekappt worden war. Ich war überrascht, dass es tatsächlich noch jemanden gab, der davon wusste. Der sagte dann allerdings zu uns: „Ich habe die Leitung für euch, aber ihr müsst mich als Hausmeister einstellen.“ Wir antworteten: „So lange die Leitung hier ist, biste Hausmeister …“ – Also, das ist aber wirklich die Anfangsphase gewesen. Da könnte man viele schöne Geschichten erzählen.

Ja, für einen Wessi war ja vieles neu, nicht. Und ich sag mal, ich bin hierhergekommen, wirklich mit der Vorstellung: Das ist jetzt mein neuer Arbeitsplatz. Vom ersten Tag an habe ich mich über nichts beklagen können. Ich bin von vornherein exzellent behandelt worden, hatte immer den besten Schreibtisch, ein ordentliches und schönes Büro, hatte eine gute Sekretärin, einen ausgezeichneten Fahrer.

Wäre Pendeln für Sie in Frage gekommen? Bleibt man als Führungskraft eigentlich glaubwürdig, wenn man den Wohnsitz im Westen behält?

Das können Sie nicht. Ich habe am 1. November 1990 im Verband angefangen und war ab 1. Januar 1991 in Hohenschönhausen. Allerdings in einer privilegierten Wohnung, weil ich als Einzelperson damals fast 100 Quadratmeter hatte. Die Wohnung war übrigens sehr schön; meine Nachbarn hochinteressant. Es war aber tatsächlich so, dass die Möbelpacker, die mich aus Hannover begleiteten, gefragt haben: „Was haben Sie denn bei Ihrem Verband angestellt, dass man Sie hierher verbannt hat?“ Dazu muss man wissen: Ich wohnte im niedersächsischen Gehrden in einer Eigentumswohnung am Hang mit einem schönen großen Fenster. Doch ich will das Jahr in Hohenschönhausen nicht missen. – Um es kurz zu machen: Ich bin der Auffassung, wenn ich mein Geld hier verdiene, dann gehöre ich hierher. Das heißt also auch, von dem Tag an, an dem die Tinte unter dem Dienstvertrag trocken war, war mir klar, dass dies mein Verband ist. Sie können meines Erachtens so eine Arbeit auch nur leisten, wenn sie wirklich mit Haut und Haaren dabei sind. Sonst geht das eigentlich nicht. – Das soll jetzt aber bitte nicht diejenigen herabsetzen, die es vielleicht anders gemacht haben. Denn ich hatte zu dem Zeitpunkt keine Familie, da war ich etwas freier. Aber anders hätte ich es mir nicht vorstellen können. Das muss ich ganz offen sagen, ja. Es war auch rein physisch gar nicht zu schaffen. Sie dürfen nicht übersehen, ich musste jetzt erst einmal die vielen Menschen kennenlernen. Wir hatten damals 196 Sparkassen. Das war ein nicht ganz einfaches System.

Was war Ihnen als Leiter der Prüfungsstelle besonders wichtig?

Ich war beispielsweise immer dafür, dass wir Menschen von hier ausbilden. Ja, meine Prüfer kamen nicht aus dem Westen. Ich stellte Leute aus dem Osten ein. Das war natürlich für mich ganz schwer zu lernen: Welche Ausbildungseinrichtungen der DDR lieferten welche Professionalität. Dass ein Staat wie die DDR darauf achten musste, dass, sagen wir mal, eine gewisse ideologische Bestrahlung der Studenten stattfand, das war für mich selbstverständlich. Genauso wenig, wie ich als topüberzeugter Kommunist in Westdeutschland irgendwo hätte Oberbürgermeister werden können, hätte ich das auch hier im umgekehrten Fall nicht hingekriegt. Aber die Frage lautete, wie geht man damit um, nicht.

Da gab es einen klugen Satz von Hans-Georg Günther, dem Vizepräsidenten: „Du musst Dir das genau anschauen, denn es gibt Verschlimmerer und Verbesserer.“ Also: Was passiert eigentlich, wenn man einem Menschen Macht gibt? Stecken hinter der „ideologischen Schlagsahne“ Fachleute, oder nicht? Da sind Menschen, die eine supergute Facharbeit gemacht haben und gleichzeitig findet ein Systemwechsel statt. Natürlich müssen Sie sich dann auf der Prüferseite mit dem „Cui bono?“ auseinandersetzen. Denn plötzlich fangen Leute an, andere zu diskreditieren.

Ich hatte mal so einen Fall, dass bei einem sehr verdienten, von mir hoch geschätzten Mitarbeiter irgendjemand kam und mir dessen Hochschulschrift zeigte. Im Glauben, er könne mich dadurch gegen den anderen einnehmen. Denn auf den ersten zehn Seiten wurde der Sozialismus hochgejubelt. Also damals war ich glücklicherweise schon so weit, dass ich wusste, was hier so Standard war und was nicht. Ich las dann die Schrift, die von linearen Gleichungssystemen handelte. Ein sehr schwieriger Komplex der wirtschaftlichen Optimierung. Das fand ich hochinteressant. Also habe ich zu demjenigen hinterher gesagt: „Ich finde es klasse, dass sie mir die Schrift gegeben haben. Ich schätzte den Kollegen zwar schon immer sehr, aber dass der so etwas Gutes kann, habe ich nicht gewusst.“

Verstehe, Sie haben sich über so etwas geärgert. Gab es 1990 noch weitere Dinge, die Sie aufgebracht haben?

Das sind die Systeme. Wissen Sie, es ging ja bis dahin, dass die Wohnungen der DDR schlecht gemacht wurden. Jeder meckerte über die Plattenbauten. Ich habe über zehn Jahre in der Platte gewohnt, erst in Hohenschönhausen, danach in Mitte in einer ehemaligen Regierungsplatte. Das waren dumme Leute, die nicht verstanden haben, dass sie volkswirtschaftliches Vermögen der DDR, das die Menschen ja aufgebaut hatten, im Prinzip kleinreden, ja, dass wir es nur noch abreißen könnten. Anstatt sich einmal Gedanken zu machen, wie man aus diesen städtebaulichen Gegebenheiten etwas kreiert, das noch 15 oder 20 Jahre hält. Es hat mich in der Wendezeit sehr geärgert, wie die Dinge dann kleingeredet wurden von Leuten, die es eigentlich auch nicht verstehen konnten.

Dann die Treuhandanstalt. Wenn Sie damit zu tun hatten und sahen, in welchem Umfang krasser Egoismus und Dilettantismus nebeneinander standen. Das waren Jahre, wo man eben lernen konnte, dass die Wirtschaftssysteme überhaupt nicht kompatibel sind. Mich erinnerte dies alles an meine Studentenzeit. Da hatten wir einmal Kommilitonen aus Brasilien eingeladen und die haben uns dann abends erzählt: „Also eure Sicht auf die deutsche Wirtschaft, die könnt ihr aber vergessen. Wenn eine große deutsche Firma bei uns in den Krankenhäusern zum Beispiel Geräte verkauft, sind die erstens veraltet und zweitens überteuert. Denn die zahlen immer hohe Schmiergelder.“

Als ich dann 1990 in unseren Verband kam, war es fast genauso. Die ersten Schränke wurden beispielsweise überteuert eingekauft. Den Vertreter habe ich dann zu mir gebeten und verdeutlicht: „In Hannover habe ich dieselben Schränke mit 40 Prozent Rabatt bekommen. Ich gehe damit an die Öffentlichkeit, dann verkaufen Sie hier nicht einen einzigen Schrank mehr. Wenn Sie nicht Ihre Angebote in ordentliche Verhältnisse setzen.“ Das bekommen Sie natürlich nur hin, wenn die Erfahrungen vorhanden sind. Rainer Voigt war natürlich sehr erstaunt, als er dann fast den halben Kaufpreis wieder erstattet bekam. Das heißt also: Da wird von Hilfe gesprochen, aber eigentlich geht’s ums Verdienen.

Das waren alles Erlebnisse, die sich dann gegeben haben. Wir veranstalteten Vorstandslehrgänge und andere Dinge, um die Zeit des Umbruchs und der Veränderung zu meistern. Alle Seiten waren dabei betroffen. Wenn Sie als Westdeutscher im Osten bleiben wollten, mussten Sie ganz deutlich wissen und verstehen, wie die Menschen hier ticken. Sie dürfen nicht vergessen, die Menschen hatten ja alle ihre eigene Jugend, ihre eigene Erinnerung. Es wird ja keiner seine eigene Erinnerung einfach so in den Dreck werfen, nicht wahr. Die haben hier studiert, sind zur Schule gegangen, haben ihr Leben gelebt, Kinder gekriegt und so weiter. So musste man im Blick behalten: Man kommt dazu und kann jetzt seinen Beitrag leisten. Eigentlich war es genauso, als wenn Sie als Rheinländer nach Bayern ziehen. Da müssen Sie auch erst einmal gucken und sich Grundelemente des bayerischen Denkens aneignen.

Rainer Voigt bezeichnete Sie als „Mann der ersten Stunde“, der den fachlichen Teil aufbauen half. Sie kamen aus Niedersachsen. Haben Sie die Prüfungsstelle nach diesem Vorbild aufgebaut? Was war das Wichtigste für Sie?

Also das Wichtigste war aus meiner Sicht, dass wir immer wieder Schwerpunkte gesucht haben, in denen die Kollegen sich behaupten konnten. Der Abteilungsleiter Markt ist dafür ein sehr gutes Beispiel. Er hat angefangen als „Zahlungsverkehrsmensch“. Das war unser größtes Problem, den Zahlungsverkehr hier vernünftig zu organisieren. In den ersten Jahren hatte er wirklich ganz erheblichen Anteil daran, dass das funktionierte. Danach kamen weitere Projekte, die Zukunft hatten. Zu meiner Zeit als Verbandsgeschäftsführer bauten wir zum Beispiel gemeinsam die Internetfiliale auf. Er natürlich immer vorne weg. Das deutschlandweit eingesetzte System des Finanzkonzeptes stammte auch aus unserem Verband, aus demselben Bereich.

Das bedeutet, für mich war es eigentlich immer wichtig, egal ob ich als Prüfungsstellenleiter oder als Verbandsgeschäftsführer hier gearbeitet habe, sicherzustellen, dass die Beschäftigten des Verbandes sich identifizieren können mit ihren Aufgaben. Wo sie auch sagen konnten: „Da habe ich meinen Anteil dran.“

Ich bin zum Beispiel kein guter Teamplayer. Das sage ich ganz deutlich. Aber ich weiß, dass ich Mitarbeiter brauche, die so gut sein müssen, wie’s gerade eben geht. Ich bin der Meinung, dass Sie nicht dauernd Menschen einstellen können, die dümmer sind als Sie selbst. Denn dann werden Sie eines Tages ein richtig dummes Haus haben. Die Führungskräfte sollten im Idealfall über eine Qualifikation verfügen, die sie befähigt, auch als Geschäftsführer arbeiten zu können. Toppositionen sind in einem Verband begrenzt. Aber man muss zusehen, dass in allen Positionen Leute sind, die gut und eigenständig arbeiten. Das hat sich hier im Verband auch bewährt. Denn in Zeiten der Abwesenheit, konnten die Aufgaben auf diese Weise verteilt und gut erledigt werden. Die Stärke unseres Verbandes ist, dass wir unsere Position haben und uns auch nicht zu häufig umorganisierten.

Trotzdem gibt es Veränderungen. Das ist ein natürlicher Vorgang. Da kann man sich jetzt nicht hinstellen und sagen: „Alles wird zementiert.“ Man muss eben verstehen: Sie können nie kopieren. Wenn Sie das tun, werden Sie maximal so gut sein, wie das, was Sie kopieren. Es muss in der Führung auch eine eigenständige Ausrichtung geben. Das Ergebnis mag dann besser oder schlechter sein. Das spielt aber keine Rolle. Das ist dann die Handschrift desjenigen, der vorne steht.

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*Claus Friedrich Holtmann (1949-2013), Lebenslauf, siehe Teil 1 vom 01.11.2020, FN 1

**Quelle: Bestand: Historisches Archiv des OSV, Zeitzeugeninterview mit Claus Friedrich Holtmann am 10. Januar 2013.

  • Claus Friedrich Holtmann auf dem 7. Ostdeutschen Sparkassentag, Potsdam 2011 : © photothek.net/Ostdeutscher Sparkassenverband

  • Feierliche Preisverleihung zur Aktion "Ältestes Sparkassenbuch gesucht", im April 2013; mit einem Präsidenten, der es verstand, "mit besonders liebenswürdigen und mit viel Humor gewürzten Geschichtskenntnissen" aufzuwarten und zu begeistern. : © photothek.net/Ostdeutscher Sparkassenverband

„mit Leib und Seele Sparkassenmann“ – Erinnerungen an Claus Friedrich Holtmann

Teil 1

Heute vor 30 Jahren kam ein Mann zum Sparkassenverband im Osten Deutschlands, der für den Präsidenten Rainer Voigt zu den „Männern und Frauen der ersten Stunde gehörte, die den fachlichen Teil vorangebracht haben.“ Als examinierter Wirtschaftsprüfer sollte er die Prüfungsstelle nach westdeutschem Vorbild aufbauen. Eine herausfordernde Aufgabe. Im Rückblick bezeichnete Voigt es als „Riesenglück“, dass „bei einer absolut unklaren Rechtslage“ im Jahr 1990 eine gestandene Persönlichkeit wie diese dafür gewonnen werden konnte: Claus Friedrich Holtmann.*

Befragt man Kolleginnen und Kollegen, so ist ihnen Holtmann als brillanter Redner und Rhetoriker, ja, als Vordenker und Macher in guter Erinnerung. Erlebnisse mit Holtmann blieben im Gedächtnis. Geschichten gibt es reichlich. Langjährige Prüferinnen und Prüfer erinnern sich sogar noch an ihr „etwas anderes“ Einstellungsgespräch mit dem Leiter der Prüfungsstelle. Er sprach viel, man hörte gern zu. Am Ende setzte er großes Vertrauen in seine Mitarbeiter, auch in die neuen. Fachkompetenz wusste er zu schätzen. Gleichzeitig war er am Menschen interessiert, fragte nach dem Befinden. „Das muss ich noch sagen“, unterstrich ein Weggefährte aus der Anfangszeit, „Holtmann war mit Leib und Seele Sparkassenmann […] und als Prüfungsstellenleiter war er ein großer Verfechter der Hilfe zur Selbsthilfe“ – insbesondere in Bezug auf die ostdeutschen Sparkassen.

Dazu passt ein Erlebnis eines 1993 frisch gebackenen Sparkassenvorstands. Im Mittelpunkt standen Nacharbeiten zur Währungsunion. Aufgrund von Fehlern in der Programmierung gab es noch zu dieser Zeit sogenannte „Aufräumarbeiten“. Holtmann rief gleich am ersten Tag der Amtszeit an und wies darauf hin, dass noch Differenzen in zwei Jahresabschlüssen seien. Der neue Vorstand hätte nun die Verantwortung und für die Richtigstellung Sorge zu tragen. Er wisse auch nicht, wie das sonst bei der Bankenaufsicht begründet werden sollte. – Das war ‘ne Ansage, kaum, dass der alte Direktor nicht mehr zuständig war. – Für mehrere Sparkassenmitarbeiterinnen türmte sich nun ein Berg von Arbeit auf. Erneut durchforsteten sie alle Listen und prüften die bereits „halb verblassten Tippstreifen“, um anschließend Bereinigungen vornehmen zu können. Alles manuell. – Erschwerend kam hinzu, dass die Aufgabe in einem Monat erledigt sein sollte. „Das war Wahnsinn“, erinnerte sich der Sparkassenvorstand. Ständig stand die Frage im Raum: Schaffen wir das? – Doch tatsächlich bekam Holtmann pünktlich die Erfolgsmeldung geliefert: „Ich möchte Ihnen Bericht erstatten: Null Differenz, wir sind durch.“ Die Antwort darauf war typisch für Holtmann: „Etwas anderes habe ich von Ihnen auch nicht erwartet.“ – Lachender Kommentar des Vorstands zu dieser Episode: „So war er. Das war der Beginn einer wunderbaren Zusammenarbeit.“

Ein anderer Weggefährte kommt im Rückblick auf die Aufbaujahre zu der Einschätzung: „Ohne den wären wir als Verband untergegangen. Holtmann hat den Sparkassen auch die Reserven angeraten. Er hat Dinge auf den Weg gebracht, die die Sparkassen heute gut dastehen lassen […] Holtmann hat im richtigen Augenblick das Richtige gemacht und war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Der Verband wäre ohne ihn nicht der Verband geblieben.“**

Wenn ich an Claus Friedrich Holtmann zurückdenke, dann fällt mir zuerst die Preisverleihung zur Aktion „Ältestes Sparkassenbuch gesucht“ ein. Sie fand im April 2013 in der 19. Etage unseres Verbandsgebäudes in Berlin-Mitte statt. Wir hatten Sparer zu Gast, die seit Jahrzehnten aktiv waren. Das kam nicht alle Tage vor. Holtmann war begeistert und widmete sich jedem einzelnen Preisträger und seiner Geschichte. Selten zuvor hatte ich ihn so gelöst und zugewandt erlebt. Im Nachgang der Feierlichkeiten erreichten uns folgende Zeilen:

Die von Ihrem Präsidenten, Herrn Claus Friedrich Holtmann, vorgenommene Preisverleihung, mit besonders liebenswürdigen und mit viel Humor gewürzten Geschichtskenntnissen (bezogen auf das deutsche Sparkassenwesen), haben meine eigene Einstellung zum Notwendigen der DEUTSCHEN SPARKASSEN erweitert und bestärkt.***

Und Holtmann selbst? Wie hat er seinen Wechsel von West nach Ost 1990 wahrgenommen? Darüber lesen Sie morgen mehr. In unserem 2. Teil lassen wir ihn persönlich zu Wort kommen.

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*Claus Friedrich Holtmann (1949-2013) hinterließ große Spuren im Ostdeutschen Sparkassenverband. Nach dem Abitur 1969 erlernte er in seiner Heimatsparkasse in Krefeld den Beruf des Sparkassenkaufmanns. Anschließend studierte er Betriebswirtschaft an der Universität Münster und wurde nach dem Abschluss Prüfungsassistent beim Sparkassenverband Niedersachsen in Hannover. 1978 legte Holtmann sein Verbandsprüferexamen an der Deutschen Sparkassenakademie in Bonn ab. Drei Jahre später machte er sein Steuerberater-, im Jahr darauf das Wirtschaftsprüferexamen. Seit 1984 arbeitete Holtmann als Stellvertretender Prüfungsstellenleiter beim Sparkassenverband Niedersachsen in Hannover. Am 1. November 1990 übernahm er die Leitung der Prüfungsstelle des Ostdeutschen Sparkassenverbandes in Berlin. Von 1999 bis 2006 wirkte Holtmann als Verbandsgeschäftsführer des Ostdeutschen Sparkassenverbandes. 2007 trat er die Nachfolge des ersten Geschäftsführenden Präsidenten, Rainer Voigt, im einzigen Vier-Länder-Sparkassenverband Deutschlands an.

**Quelle zu den Erinnerungen: Bestand: Historisches Archiv des OSV, div. Zeitzeugengespräche mit Verbands- und Sparkassenmitarbeitern.

***Bestand: Historisches Archiv des OSV, Wanderausstellung und Preisverleihung zur Aktion: „Ältestes Sparkassenbuch gesucht!“, Schreiben eines Preisträgers.