• Die Gedanken der Abteilung Sparkassen zur Neuorientierung der ostdeutschen Sparkassenorganisation gehen Ende November 1989 bereits davon aus, dass es auch in der DDR wieder Länder mit eigenständigen Regierungen – analog der Struktur bis 1952 - geben könnte. Die Sparkassenverbände wären diesen unterstellt; ein zentraler Dachverband würde die „notwendige Einheitlichkeit“ sicherstellen. : © Historisches Archiv des OSV

„… mit den heute getroffenen Festlegungen nunmehr die Angelegenheit erledigt ist, oder?“




Blogserie, Teil 5

Am 18. Dezember 1989 ist es geschafft. Bruno Meier informiert seinen Vorgesetzten Horst Kaminsky, den Präsidenten der Staatsbank der DDR, über seine Entscheidung, „mit einer kleinen Arbeitsgruppe […] im Laufe des 1. Quartals 1990 auf der Grundlage zu fassender Beschlüsse des Ministerrates die Bildung eines Sparkassenverbandes der DDR“ vorzubereiten. Die Verantwortung übertragt er dem Leiter der Abteilung Sparkassen, Rainer Voigt.*

Das beharrliche, kritische Hinterfragen Voigts war also erfolgreich. Sein lange verfolgtes Ziel, für „das größte Kreditinstitut in der DDR“ mit 20.000 Mitarbeitern und rund 3.000 Filialen, eine „repräsentativer erscheinende Organisationsstruktur“ zu schaffen, rückt in greifbare Nähe.**

„Die Angelegenheit“*** – gemeint sind die Beschwerde zum Positionspapier der Bank und das Rückspracheersuchen Voigts – ist damit erledigt. Denn Meier folgt Voigts Vorschlag und vertraut Sparkassenpraktikern die Gestaltung der eigenen Zukunft an. Und die haben viel vor, wie aus dem „Material über gegenwärtig gültige gesetzliche Bestimmungen“ hervorgeht, welches Meier zur Argumentation als Anlage seiner Information an den Präsidenten beifügt.

Einerseits verweist das von der Abteilung Sparkassen verfasste Papier darauf, dass die §§ 12 und 13 des Statuts der Sparkassen der DDR vom 23. Oktober 1975 anzupassen seien, um die „Bildung von Sparkassenverbänden in der DDR“ zu ermöglichen. Andererseits wird ganz klar formuliert, was das Hauptziel ist, „die bisherige Abt. Sparkassen aus der bestehenden Struktur der Staatsbank herauszulösen, um die erforderlichen organisatorischen Aufgaben lösen zu können.“****

Nicht ganz unerheblich für Meiers Einlenken sind aber auch „Kritiken von Kollektiven und einzelnen Mitarbeitern aus vielen Sparkassen“, die seit November 1989 verstärkt die Staatsbank erreichen. Der angestaute Ärger wird in Eingaben mehr als deutlich. Es geht um die Erhöhung der Gehälter, die seit Jahren gefordert werden, um eine hohe Fluktuation, ungünstige Arbeitszeiten, eine hohe Arbeitsbelastung vor Ort, um die schlechte technische Ausstattung, um mehr Kompetenzen und vieles mehr.

Die Abteilung Sparkassen der Staatsbank der DDR konnte bei den aufgeführten Problemen in der Vergangenheit nur bedingt weiterhelfen. Denn die letztendliche Entscheidungshoheit oblag und obliegt zu diesem Zeitpunkt der Staatsbank – auf allen Ebenen. Die vorgegebene Struktur behindert die Abteilung Sparkassen in ihrem Wirken. Insbesondere, weil sie den Anspruch hat, uneingeschränkt und konstruktiv als Zentrale zur Regelung der praktischen Arbeit der Sparkassen zu agieren. Allzu oft waren ihr jedoch die Hände gebunden, um schnelle Verbesserungen durchzusetzen.

Doch nun ist die Zeit gekommen, um aktiv gegenzusteuern. Erste „Abnabelungsversuche“ werden sichtbar. So bittet sie bereits im November 1989 um Hinweise zur Reduzierung von Arbeitsaufwand sowie um Vorschläge zur Erweiterung der Kompetenzen der Sparkassendirektoren vor Ort. Bereits am 17. November kann sie über „Sofortmaßnahmen zur Reduzierung von Arbeitsaufwand im Zusammenhang mit der Bearbeitung von Krediten privater Handwerker und Gewerbetreibender“ informieren und damit eine „Erhöhung der Eigenverantwortlichkeit der Direktoren der Sparkassen“ erreichen.*****

Um jedoch noch effektiver und zufriedenstellender arbeiten zu können, ist allen Beteiligten in Berlin klar, dass die kleine Arbeitsgruppe unter Voigt schnell loslegen muss. Sie soll in einem ersten Schritt Aufgaben, Rechte und Pflichten eines Sparkassenverbandes zusammentragen. Das 1. Quartal 1990 ist von Meier avisiert, nun steht Weihnachten vor der Tür.

Wird es ein besinnliches Fest mit den Lieben geben oder nutzen die Sparkassenpraktiker ihren Elan, um sofort mit dem Projekt zu starten und die Entscheidung über eine Loslösung von der Staatsbank aktiv voranzutreiben?

Fortsetzung am 28.12.2019

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*Meier, Bruno: Information für Genossen Kaminsky, Betr. Bildung eines Sparkassenverbandes, 18.12.1989, Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-76/2004a-c.

**Die Hartnäckigkeit und die kritische Haltung, Dinge nicht einfach als gegeben hinzunehmen, sind Wesenszüge Voigts, an die sich Kaminsky später sehr gut erinnern kann. Immerhin blieb ihm dieser unbequeme Sparkassenmann, der „nur“ ein Abteilungsleiter von vielen in der Staatsbank war, im Gedächtnis. Bestand: Historisches Archiv des OSV, ZZI Rainer Voigt, 15.05.2012. / Gedanken zur Struktur der Sparkassen sowie den Arbeitsinhalten, Anlage 2, Abt. Sparkassen, 27.11.1989, Akte HA-76/2004a-c.

***handschriftlicher Vermerk von Meier auf dem Rückspracheersuchen Voigts vom 14.12.1989; Auszug in der Überschrift zum Blogbeitrag, Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-76/2004a-c.

****[Material über gegenwärtig gültige gesetzliche Bestimmungen], Abt. Sparkassen, 14.12.1989, Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-76/2004a-c.

*****Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-76/2004a-c.

******Bild: Übersicht Bezirke der DDR aus dem Statistischen Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik von 1989 sowie Übersicht Bundesländer aus dem Statistischen Jahrbuch für das vereinte Deutschland von 1991.

  • Ende November 1989 legte die Abteilung Sparkassen der Staatsbank der DDR das erste Papier mit umfassenden Reformvorschlägen zur Neugestaltung des ostdeutschen Sparkassenwesens vor. : © Historisches Archiv des OSV

  • Die Darstellung verdeutlicht nicht nur die besondere Stellung der Staatsbank der DDR, sondern auch das spannungsgeladene Unterstellungsverhältnis der Sparkassen. : © Historisches Archiv des OSV, Akte HA-Günther 2/2004

Die Gunst der Stunde nutzen

Blogserie, Teil 4

Am 12. Dezember 1989 schreibt der Präsident der Staatsbank, Horst Kaminsky, seine Bezirks- und Filialdirektoren an. Es geht um nichts weniger als die Erneuerung des Banksystems der DDR im Rahmen einer geplanten Wirtschaftsreform.* Die Staatsbank ist mitten im Wandlungsprozess. Ihre Abteilung Sparkassen bekommt das Positionspapier, das nun plötzlich zur Diskussion vorliegt, nicht zur Kenntnis. Erst auf Nachfrage wird es von der Abteilung Grundsätze zur Verfügung gestellt. Offensichtlich hielt man es nicht für notwendig, das „Anhängsel der Staatsbank“ in die Reformoffensive miteinzubeziehen.

Dementsprechend verärgert reagiert man in der Abteilung Sparkassen. Bereits zwei Tage später liegt eine „Gesprächskonzeption für Genossen Meier“ vor, erarbeitet von Rainer Voigt, dem Leiter der Abteilung Sparkassen.** Er hat Klärungsbedarf und bittet um Rücksprache. Für ihn steht fest, „daß es sich um das Positionspapier der Bank handelt. Andere Kreditinstitute haben darin kaum Platz gefunden, obwohl ihre Einordnung festgelegt ist unter der Leitung der Staatsbank […] Das Positionspapier ist aus unserer Sicht grundsätzlich abzulehnen, da es Macht und Einfluß der Staatsbank über die Sparkassen manifestiert.“

Voigt bleibt bei seiner Auffassung, „daß jede Banksäule für sich die Grundsätze aufstellen muß.“*** Bereits am 27. November 1989 hatte seine Abteilung die allgemeine Aufbruchstimmung im Land genutzt und eben diese Grundsätze für die DDR-Sparkassen zu Papier gebracht. In den „Gedanken zur Struktur der Sparkassen sowie den Arbeitsinhalten“ wird herausgestellt, dass die Sparkassen „ihre bisherigen Aufgaben weiterzuführen“ haben. Dazu gehören u. a. die Verantwortung für die Spareinlagen und die Kreditbetreuung der Bevölkerung, die Kontoführung und Kreditbetreuung für Teile des Handwerks und Gewerbes, die Kontoführung für Kommunen und gesellschaftliche Organisationen, die Durchführung des Zahlungsverkehrs sowie die Bargeldversorgung für die genannten Kundengruppen.

Darüber hinaus sollten Sparkassen aber auch andere geldwirtschaftliche Aufgaben übernehmen, die bisher von Filialen der Staatsbank erledigt wurden. Zum Beispiel könne die Durchführung des Reisezahlungsverkehrs sowie die Verwaltung der Devisenausländerkonten und der Valutaanrechtskonten zukünftig von den örtlichen Sparkassen übernommen werden. Mit Blick auf traditionelle Wurzeln und die internationale Ebene wird weiter vorgeschlagen, dass die Sparkassen als Einrichtungen der örtlichen Räte die „Konten der örtlichen Haushalte führen und für diese Konten den Zahlungsverkehr vornehmen“ könnten. Auch zur „Lösung von Finanzbedürfnissen“ sollten die Institute herangezogen werden.

Deutlich wird die „Notwendigkeit der Veränderung der Organisationsstruktur auf Bezirksebene“ gemacht. Denn die Eingliederung der früheren Bezirksstellen der Sparkassen in die Bezirksdirektionen der Staatsbank zum 1. Januar 1984 hatte fatale Folgen, so das bittere Resümee der Sparkässler Ende 1989. „Die Sparkassenleute empfanden die Unterstellung […] als schwersten Schlag nach der Auflösung der Sparkassenverbände 1952.“**** Die örtlichen Ratsmitglieder für Finanzen fühlten sich fortan weder auf Kreis- noch auf Bezirksebene für die Belange der Sparkassen zuständig. Den Direktoren der Staatsbank mangelte es auf dieser Ebene an Verständnis „für die juristisch selbständige Stellung der Sparkassen als Einrichtungen der Räte der Kreise“. Das alles führte zu Konfrontationen und unberechtigten Weisungen. Vor allem aber führte es zu „Auffassungen über eine Geringschätzung der Sparkassen bei den eigenen Mitarbeitern.“*****

So konnte es nicht bleiben. Eine Rücksprache mit der Staatsbankleitung war dringend notwendig. Doch wird Voigt Gehör finden oder muss er andere Wege suchen?

Fortsetzung am 18.12.2019

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Anmerkungen und Quellen:

*Bereits am 16./17.12.1989 erscheinen auf Seite 4 im Neuen Deutschland detaillierte Vorschläge von Edgar Most, Hans Taut und Prof. Dr. Wolfrid Stoll. Unter dem Titel „Staatsbank muß unabhängig sein. Diskussionsvorschlag zur Entwicklung moderner Geldwirtschaft“ entwerfen die Mitglieder der Arbeitsgruppe der Staatsbank ein konkretes Bild von einem zweistufigen Bankensystem, in dem es eine klare Aufgabenabgrenzung zwischen der Staatsbank als Zentralbank und den Geschäftsbanken gibt.

**Bruno Meier ist zu diesem Zeitpunkt der Stellvertreter des Präsidenten der Staatsbank der DDR und unmittelbarer Vorgesetzter des Leiters der Abteilung Sparkassen.

***Voigt, Rainer: Gesprächskonzeption für Genossen Meier, 14.12.1989, Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-76/2004a-c.

**** Wysocki, Josef ; Günther, Hans Georg: Geschichte der Sparkassen in der DDR 1945 bis 1990, Stuttgart, 1998. S. 457.

*****Gedanken zur Struktur der Sparkassen sowie den Arbeitsinhalten, inkl. Anlagen 1 und 2, Abt. Sparkassen, 27.11.1989, Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-76/2004a-c.

Literaturtipp:

Most, Edgar: Fünfzig Jahre im Auftrag des Kapitals. Gibt es einen dritten Weg? Berlin, 2011.

  • In Duderstadt warteten Bürger nicht etwa stundenlang auf die Auszahlung des Begrüßungsgeldes, sondern "durchschnittlich 2 Minuten". Auch von "Stückelungs-Problemen" wie es sie in der "Finanzmetropole Frankfurt" gegeben haben soll, könne in der Kleinstadt keine Rede sein, so der Vorstand am 13. November 1989. : © Sparkasse Duderstadt

  • Den Grenzübergang Worbis/Duderstadt gab es schon seit Juni 1973. Doch bis zu dem außergewöhnlichen Wochenende nach dem Mauerfall im November 1989 hatte man so einen Ansturm von Reisenden aus der DDR in der Stadt noch nicht erlebt. : © Sparkasse Duderstadt

Duderstadt im Ausnahmezustand

Blogserie, Teil 2

Wer aus einer Kleinstadt kommt, kennt das gut: Am Wochenende geht es eher gemächlich zu. Sind die Läden geschlossen, ist der Markt beendet, dann sind die Straßen wie leergefegt. Man zieht sich zurück in die häusliche Idylle, geht abends vielleicht zu Freunden oder ins Kino. Das gilt besonders für graue und trübe Novembertage.

So wäre es sicherlich auch in Duderstadt, einer Kleinstadt im südöstlichen Niedersachsen, nahe der thüringischen Grenze, gewesen. Wenn nicht – ja, wenn nicht plötzlich in der Nacht vom Donnerstag zum Freitag die DDR-Grenzen offen gewesen wären. Was in einem Ort mit etwa 22.000 Einwohnern ganz unerwartet passierte, warum ein Krisenstab eingerichtet werden musste, um das Wochenende vom 11./12. November 1989 zu managen, das hat heute vor 30 Jahren der Vorstand der Sparkasse Duderstadt in einem Schreiben an den Präsidenten des Niedersächsischen Sparkassen- und Giroverbandes, jetzt Sparkassenverband Niedersachsen, festgehalten.

Mit seiner Situationsbeschreibung bewies der Vorstand historischen Weitblick. Ergänzt mit Schnappschüssen von damals entstand für die Nachwelt ein sehr lebendiges Bild von jenen aufregenden Tagen nach der „Öffnung der DDR-Grenze“.* Doch lesen Sie selbst, wie die Sparkasse mit dem Besucheransturm fertig wurde und schließlich das Begrüßungsgeld in Höhe von 100 D-Mark pro Person professionell zur Auszahlung brachte:

Sehr geehrter Herr Präsident,

es ist uns ein besonderes Anliegen, Sie persönlich darüber zu informieren, daß wir am gerade vergangenen Wochenende aus dem Stand heraus die mit der Geldversorgung der DDR-Bürger zusammenhängenden Fragestellungen mit einem großen Kraftakt in jeder Hinsicht bewältigen konnten. Am Freitag haben wir nach Dienstschluß, gegen 17.30 Uhr, unsere Schalter sofort geöffnet; am Sonnabend und Sonntag waren wir dienstbereit von 8.00 bis 22.00 Uhr. In dieser Zeit haben wir über 10.700 Auszahlungen mit einem Gegenwert von über 1 Mio DM vorgenommen. Außerdem stellten wir die Geldversorgung für die Stadt Duderstadt mit über 12 Mio DM auch mittels der LZB Göttingen sicher.

Bei diesem Kraftakt konnten wir eine hohe Motivation unserer Mitarbeiter feststellen, wobei wir uns […] über erhebliche Klippen in Bezug auf Transport- und Versicherungsfragen sowie Bestimmungen der UVV-Kassen hinwegsetzen mußten […] sowohl sämtliche Führungskräfte unseres Hauses als auch der Vorstand persönlich [haben sich] von morgens bis spät in die Nacht, einschließlich Abstimmung mit dem örtlichen Krisenstab, engagiert […] Kassierer wurden sogar mehrmals spät nach Mitternacht eingesetzt.

Mit freundlichen Grüßen
[…]

Im Vergleich zu westdeutschen Großstädten wird nicht ohne Stolz hervorgehoben, dass es weder stundenlange Wartezeiten noch erhebliche Liquiditätsengpässe in Duderstadt gab. Die verhältnismäßig kleine Sparkasse mit seinerzeit etwa 500 Mio. D-Mark Bilanzsumme habe, so das Fazit des Vorstands, „besondere Flexibilität an den Tag gelegt und unter Beweis gestellt“.

Den pragmatischen Umgang mit einer unvorhergesehenen „Marktlage“ honorierte auch die Deutsche Sparkassenzeitung. Am 24. November 1989 berichtete sie unter der Überschrift „Duderstadt bewältigte Ansturm“ von dem erfolgreich gemeisterten historischen Moment in einer Kleinstadt an der deutsch-deutschen Grenze.

 Fortsetzung folgt am 25.11.2019

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*Betreffzeile des Schreibens vom 13.11.1989, das wir im Archiv haben; Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-Günther 2/2004.
** Auch zum 30. Jahrestag des Mauerfalls 2019 erinnert die Deutsche Sparkassenzeitung u. a. wieder an die Geschehnisse in Duderstadt.

  • Schlagzeilen aus ost- und westdeutschen Tageszeitungen vom 11. und 12.11.1989. : © Historisches Archiv des OSV

  • Blick in die Kundenhalle der Stadt- und Kreissparkasse Eisenhüttenstadt im Jahr 1989. : © Historisches Archiv des OSV

Mauerfall – Glücksfall: Aufbruch der ostdeutschen Sparkassen in eine neue Zeit

Vorwort zum Serienstart

Heute vor 30 Jahren waren nachts plötzlich die Grenzen offen. Ausgelöst durch einen dahingestammelten Satz, der in die Geschichte einging.

Begonnen hat dieses herausragende historische Ereignis auf einer Pressekonferenz. Gegen 19 Uhr informierte Günther Schabowski in seiner Funktion als Sprecher des Politbüros des ZK der SED über die neue Reiseregelung, „die es jedem Bürger der DDR möglich macht, über Grenzübergangspunkte der DDR auszureisen.“ Die Journalisten bohrten nach. Schabowski suchte nach Antworten in seinen Papieren. Offensichtlich fand er so schnell nicht die richtige, schien überfordert. Und so erklärte er auf Nachfrage: „Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich“ und gelte sowohl für die BRD als auch für West-Berlin.

Was danach geschah, bewegte die Welt. Unvergessen sind die emotionalen Bilder von jubelnden, fröhlichen Menschen, die sich an den Berliner Grenzübergängen in den Armen lagen; und nur wenig später von endlosen Autoschlangen gen Westen und von Warteschlangen vor Sparkassen. Ein Land war im Aufbruch, im Umbruch, in der Wendezeit. Die Ereignisse überschlugen sich in den Wochen und Monaten bis zur deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990. Was heute galt, konnte morgen schon überholt sein. Die Politik hinkte dem Volkswillen ständig hinterher. Und der machte sich Luft, vor allem auf der Straße.

Diese schnelllebige Zeit nutzten nun auch die 196 DDR-Sparkassen. Für sie war der Fall der Mauer ein ungeahnter Glücksfall. Endlich gab es die Chance, sich von der Staatsbank zu lösen, wieder Eigenständigkeit zu erlangen in Anknüpfung an historische Strukturen. Welche Klippen es für die ostdeutschen Sparkassen zu umschiffen galt, bis ruhigeres Fahrwasser erreicht war, davon wollen wir in einer neuen Blogserie erzählen.

Herangezogen werden dafür Akten aus unserem umfangreichen Archivbestand, Zeitzeugengespäche, Studien und Forschungsbeiträge, Zeitungsartikel, Festschriften sowie Jahresberichte. Spannende Themen, an denen wir die Entwicklungsetappen festmachen können, stellen wir Ihnen in chronologischer Reihenfolge vor. So erleben Sie fast auf den Tag genau, was vor 30 Jahren erdacht, besprochen oder angepackt wurde. Seien es die ersten Treffen zwischen Ost und West, neue Produkte, flächendeckende Schulungsprogramme oder sei es die Einführung der D-Mark, die Idee eines „gemischten Doppels“ für jedes Haus oder die EDV-Umstellung – eine Vielzahl an Herausforderungen wird Ihnen begegnen, die in relativ kurzer Zeit zu bewältigen waren.

Ein ganz besonderer, noch heute beeindruckender Gestaltungswille trieb die Beschäftigten der ostdeutschen Sparkassen an, sich gemeinsam auf den Weg in eine neue Zeit zu machen. Man spürt beim Lesen der alten Unterlagen förmlich die enorme Kraftanstrengung, derer es bedurfte, um eine erfolgreiche Zukunft in einem vollkommen anderen, für die Akteure fremden System zu gestalten. Es lohnt sich also, sich auf eine Reise in die Vergangenheit zu begeben und diese aufregende Umbruchzeit in vertiefenden Beiträgen aufzuarbeiten – nicht zuletzt, da auch Studien nachwiesen, dass die DDR-Sparkassen zu den „wenigen Beispielen von wirklicher Umstrukturierung“ und damit „eindeutig zu den Gewinnern der Wiedervereinigung“ gehören.*

Fortsetzung folgt am 10.11.2019

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*Sparkassen im Wandel – wie Phönix aus der Asche. Teilstudie, ca. 1998 [unvollständige Fassung], Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-Günther 6b/2004.

  • Just zum Jubiläum zog Delfin Trixi ins Historische Archiv des OSV ein. Als Sparmaskottchen und Nachhaltigkeitssymbol begleitet er den Weltspartag 2019. : © Deutscher Sparkassenverlag

Wir feiern Geburtstag & bleiben am Puls der Zeit

— 5. Blogjahr — 95. Weltspartag — 5. Blogjahr — 95. Weltspartag —

Vor genau fünf Jahren sind wir mit unserem Blog und 19 fertigen Beiträgen online gegangen. Anlass war der 90. Weltspartag. Ein schönes Jubiläum, um mit spannenden Sparkassen- und Archivgeschichten zu starten. Und ein schöner Anlass, um exklusiv und regelmäßig für Sie interessante Sammlungsobjekte auszuwählen, diese für tolle Fotos in Szene zu setzen und Hintergrundinformationen zu liefern, oder aber, um Dokumente aus unseren Akten zu digitalisieren und über das Internet der Allgemeinheit zugänglich zu machen.

Der ursprüngliche Leitgedanke war, History-Marketing- und History-Communication-Instrumente einzusetzen. Wir wollten zeigen, was mit unseren facettenreichen Archivmaterialien öffentlichkeits- und werbewirksam alles möglich ist. Orientierung bot die Fachliteratur, die es wunderbar auf den Punkt bringt:

Es ist eine einfache Regel:
Wer sein System geschichtsbewusst vorantreibt
und korrespondierende Geschichten resonanzstark einsetzt,
signalisiert Klugheit, Erfahrung und Reife.
Er öffnet eine Schatzkiste.*

In Zeiten des Überangebots, gar der Austauschbarkeit von Produkten und Dienstleistungen wird die Geschichte eines Unternehmens zunehmend zum einzigen zeitlosen Alleinstellungsmerkmal. Da sind die Experten sich einig. Um jedoch mit der Unternehmensgeschichte arbeiten zu können, muss man sie auch kennen. So lag es für uns auf der Hand, die „Schatzkiste“ zu öffnen und das vorhandene Potential auch in der digitalen Welt zu nutzen. Kontinuierlich berichten wir seitdem unter anderem aus der wechselvollen 200-jährigen Geschichte der Sparkassenorganisation.

Inzwischen sind wir beim 353. Blogbeitrag angelangt und freuen uns monatlich über eine 5-stellige Anzahl an Besuchern, die hoffentlich auch alle den Blog lesen. Dass gelesen wird, zeigen die vielen Anfragen und Kommentare, die uns allerdings oft noch per E-Mail oder mündlich erreichen. An dieser Stelle möchten wir Sie gern ermuntern, die Kommentarfunktion unter jedem Beitrag aktiv zu verwenden. Wir lesen alles aufmerksam, beantworten gern Ihre Fragen und sind begeistert, wenn Sie noch Ergänzungen oder Anregungen zu unseren wöchentlichen Artikeln haben.

Doch wir feiern nicht nur Bloggeburtstag. Vor allem und in erster Linie feiern wir in diesem Jahr den 95. Weltspartag! Seine Entwicklung von den Anfängen bis heute haben wir für Sie auf der Homepage des Ostdeutschen Sparkassenverbandes (OSV) in Text & Bild zusammengefasst. Schauen Sie einfach einmal rein und entdecken Sie einmal mehr die Vielfalt unserer Sammlungen.

Dass der alljährliche Weltspartag kein bisschen angestaubt und altbacken daherkommt, verdankt er einer schönen Tradition. Zwar steht nach wie vor das frühzeitige Heranführen und das intensive Beschäftigen mit Geld und Sparen im Vordergrund. Daneben hat er aber stets auch ein aktuelles Thema im Gepäck. In diesem Jahr wenden sich Sparkassen in ihren Filialen mit Aktionen rund um die Nachhaltigkeit an Interessierte. Ein Thema, das uns alle angeht. Mit von der Partie ist Delfin Trixi. In Malwettbewerben und unterhaltsamen Spielen wird ein sauberer Lebensraum für ihn kreiert. Kinder können mit Trixi kuscheln und sich von ihm zum Nachdenken über Klima- und Umweltschutz inspirieren lassen. Bei dieser komplexen Aufgabe kommen auch Erwachsene auf ihre Kosten. Denn gemeinsam mit den Kleinen Überlegungen zum bewussten, ökologischen Handeln anzustellen, schafft einen generationenübergreifenden Erlebnistag.

„Nachhaltiges Handeln und Wirtschaften ist eine der entscheidenden Zukunftsaufgaben“, stellt der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes Helmut Schleweis im „Bericht an die Gesellschaft 2018″ heraus. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass die Arbeit der Sparkassen von Beginn an im Dienste der Nachhaltigkeit stand. Finanzgeschäfte wurden stets im Sinne der Menschen und der regionalen Wirtschaft betrieben. Ziel war immer, dauerhaft eine hohe Lebensqualität und Wohlstand in der Region sicherzustellen. Davon zeugt bis heute das Bekenntnis zum öffentlichen Auftrag. Mit vorhandenen Ressourcen sorgsam und sparsam umzugehen, gehört seit Jahrzehnten zum Selbstverständnis. Ebenso wie die ganzheitliche Betrachtung der drei Säulen der Nachhaltigkeit: Ökologie – Ökonomie – Soziales. Ergebnisse diesbezüglich werden in Pressemitteilungen und Jahresberichten transparent gemacht. Regional erfahrbar sind für jedermann insbesondere die finanziellen Unterstützungen durch die Sparkassen, die sich stets am Gemeinwohl orientieren.

Gleichwohl zieht die Fridays-for-Future-Bewegung auch an den 385 deutschen Sparkassen nicht spurlos vorbei. Die Jugend fordert zu Recht eine lebenswerte Welt für sich und nachfolgende Generationen. Sparkassen und ihre Verbände setzen sich im gesamtgesellschaftlichen Kontext ebenfalls damit auseinander. In Arbeitsgruppen wird intensiv an zukunftsweisenden Konzepten im Sinne der Nachhaltigkeit gefeilt. „Investitionen verstärkt in ökologisch nachhaltige Wirtschaftsprozesse“** sowie die Festlegung transparenter Nachhaltigkeitskriterien***, stehen auf der Agenda. Wie Firmen ihre Nachhaltigkeitsziele definieren und umsetzen, und wie Sparkassen mit ihren Kunden das beispielsweise im Kredit- und Anlagengeschäft besser prüfen und nachvollziehen können, wird ein wichtiges Thema sein. Nachhaltige Finanzprodukte zu gestalten, ohne „Greenwashing“ zu betreiben, ist notwendig und richtig im 21. Jahrhundert.

Mit großen Schritten bewegt sich also auch die Sparkassenorganisation in Richtung Zukunft und der Weltspartag auf sein großes rundes Jubiläum zu: Die 100. Wir werden dabei sein & feiern dann gemeinsam mit ihm unser 10. Versprochen.

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*Manfred Schmidt, S. 75. In: Die Bedeutung der Tradition für die Markenkommunikation. Hrsg. von Nicolai O. Herbrand, Stefan Röhrig. 1. Aufl. Stuttgart: Edition Neues Fachwissen, 2006.
** Schleweis, Helmut: Rede auf dem Bonner Akademischen Sommer. Bonn: DSGV, 2019.
*** Die Deutsche Bundesbank sieht hier insbesondere auch die Politik in der Pflicht.

  • Auf den Punkt gebracht: Ohne Raketenantrieb keine Mondlandung! Erobern auch Sie den Erdtrabanten mit diesem schönen, alten Brettspiel der Sparkassenorganisation aus der Zeit des "Mondfiebers". : © Flöttmann Verlag GmbH, Gütersloh

  • Mit der Anleitung zum Spiel "Raketen landen auf dem Mond" bekommen Sie vielleicht Lust auf einen baldigen Würfelnachmittag in Familie oder mit Freunden. Wir wünschen viel Spaß! : © Flöttmann Verlag GmbH, Gütersloh

  • Ergänzend zu TV-Übertragungen, Großbildern von Raumfahrtprojekten und Neuigkeiten zu den Phasen des Monflugs am Schwarzen Brett, gab es ein Sonderpostamt der Neuspar. Die Schlange vor den Schaltern riss nie ab, so das Fazit der Sparkasse. Denn erhalten konnte man hier einmalige Sonderstempel mit den Daten von Start, Landung auf dem Mond, Betreten des Mondes und Rückkehr zur Erde. : © Sparkassen-Werbedienst, Nr. 9, 1969 | Bestand: Historisches Archiv des OSV

Das Mondfieber vor 50 Jahren grassierte auch in der Sparkassenorganisation

Aufregende Julitage waren das 1969, als der erste Mensch den Mond betrat. Diesen Meilenstein der Technik verfolgten Millionen Begeisterte am Radio oder wenn vorhanden, auch schon vor dem Fernseher. Die Neue Sparcasse von 1864 – kurz: Neuspar, die 1972 mit der Hamburger Sparcasse von 1827 fusionierte – dachte sich passend zum Außergewöhnlichen etwas ganz Besonderes aus.

Sie stellte zwölf Farbfernsehgeräte in der Kassenhalle ihrer Hauptstelle auf. Die Kunden konnten nun live vom Start ins All am 16. Juli bis zur Rückkehr auf die Erde am 24. Juli dabei sein. Der Service, auf die historische Mission während des laufenden Kundengeschäfts einzugehen, war ein großer PR-Erfolg und wurde dankbar angenommen. Der Zuschauerstrom riss „trotz Sonnenschein und Ostseewetter“ nicht ab. Täglich wurden mehr als 1.000 Besucher gezählt. Von Sonntag auf Montag blieb die Schalterhalle dann sogar die ganze Nacht geöffnet. Zu dieser Zeit wandelten Neil Armstrong und Edwin Aldrin auf der Mondoberfläche. Das konnte man sich nicht entgehen lassen. Sparkassenangestellte harrten mit dem Publikum aus und wurden morgens von Kollegen abgelöst. „Deren Aufgabe war es, die Zuschauer zu wecken, die nach dem weltbewegenden Ereignis selig entschlummert waren“, fasste Peter Jonas für den Sparkassen-Werbedienst 1969 die nicht ganz alltägliche Situation zusammen.

Die Hamburger Sparcasse von 1827 stand dem Schwesterinstitut in nichts nach. Sie stellte im gleichen Zeitraum ein 6,5 Meter hohes, originalgetreues Modell der Mondlandefähre in der Wandelhalle des Hauptbahnhofs auf und verteilte 100.000 Mondkarten. Für September kündigte die Sparkassenzeitung vom 25. Juli 1969 die „Bemannte Raumfahrt“ in den Räumen der Hamburger Sparcasse an: „Star der Ausstellung wird die Original-‚Gemini-10‘-Raumkapsel sein“. Weiter informierte die Zeitung darüber, dass die „Gemini-10“ 1966 eingesetzt wurde, um erstmalig das für den Mondflug so wichtige Kopplungsmanöver zu absolvieren. Durchgeführt wurde es u. a. von Michael Collins, der 1969 als dritter Mann mit an Bord des legendären Apollo-11-Mondfluges war.

Der PR-Erfolg der Neuspar in Zahlen:

– 20.000 Besucher in der Ausstellung „Mondflug-Informationszentrum“ in der Zeit vom 14. bis 25. Juli 1969

– Beiträge in allen größeren Zeitungen, die in Hamburg seinerzeit vertreten waren, mit einer Auflagenhöhe von insgesamt 6 Mio. Exemplaren

– vier Rundfunk- und fünf Fernsehberichte

– täglich vierstellige Besucherzahlen in der Hauptstelle, wo die Fernsehgeräte aufgestellt waren

Quelle: Jonas, Peter: Als es um Mond ging, in: Sparkassen-Werbedienst, Nr. 9, 1969, S. 221-222.