• 30 Jahre Währungsunion - Zeitzeugengespräch mit Ralf Braun, Vorstandsmitglied der Sparkasse Spree-Neiße : © OSV

  • Eine der größten Herausforderungen war, die Warteschlangen zu bewältigen. Also die Währungsumstellung, die organisiert war, auch zu realisieren. Schon morgens gab es teilweise Menschenschlangen von 200 bis 300 Metern – für mich war das unfassbar, erinnert sich Ralf Braun an den Sommer der Währungsumstellung 1990. : © Sparkasse Spree-Neiße

Gekommen, um zu bleiben – Erinnerungen an 1990

Dass sich dieses Land wiedervereinigt
und zwei unterschiedliche Währungssysteme aufeinandertreffen,
das war für mich faszinierend.
Ralf Braun, Vorstandsmitglied der Sparkasse Spree-Neiße

Blogserie, Teil 39

Mit 23 Jahren machte sich Ralf Braun auf den Weg in die DDR. Zum ersten Mal in seinem Leben.  Ziel war die Stadt- und Kreissparkasse Cottbus. Dort wartete man schon auf den jungen Bankkaufmann aus Aachen und freute sich auf seine tatkräftige Unterstützung. Wie Ralf Braun sein Ankommen zwei Tage vor der Währungsumstellung erlebte und welche anschließenden Herausforderungen er für die Sparkasse sah, erzählte er uns in einem Zeitzeugengespräch.*

Herr Braun, wie sind Sie auf die Idee gekommen, in den Osten zu gehen?

Vorweg sei gesagt: Ich lege großen Wert darauf, dass ich keiner von den vielen Glücksrittern bin, die mit einem anderen Grad an Motivation und Hintergrund in die DDR kamen, als ich das jetzt von mir behaupten möchte.

Am 29. Juni 1990 bin ich nach Cottbus gekommen. Durch Seminare des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes. sind wir mit der besonderen Situation im Osten vertraut gemacht worden.** Ich persönlich hatte zum damaligen Zeitpunkt keinerlei Karriereabsichten. Vielmehr war es so, dass es für mich als Mensch, der sozialisiert wurde im kalten Krieg, der mit einem eisernen Vorhang aufgewachsen ist – also in einer vollkommen anderen Welt lebte – ein phänomenales Ereignis war. Dass sich dieses Land wiedervereinigt und zwei unterschiedliche Währungen aufeinandertreffen – konvertierbare und nicht konvertierbare –, das war für mich faszinierend.

Wie sah Ihre Unterstützung zur Währungsunion konkret aus? Vom „Schlange stehen“ einmal abgesehen, hat man als Kunde nicht viel davon mitbekommen, was in den Sparkassen tatsächlich an Arbeit alles angefallen ist.

Ich muss ja eines sagen: Die Mitarbeiter hier habe ich als äußerst engagiert, offen, dynamisch und wissbegierig kennengelernt. Die Währungsumstellung war bereits perfekt vorbereitet. Ich kam hier zwei Tage vorher an, das heißt, ich kam am „heißesten Punkt“ mit dazu. Jeder Westdeutsche, der behauptet, er hätte die Währungsumstellung gemacht, der sagt nicht die Wahrheit. Denn die Vorbereitung geschah schon Monate vorher. Zwei Tage vorher konnte man vielleicht noch ein paar kleinere Anregungen geben, was den Auszahlungs- und Umstellungsprozess anbelangt. Aber die Währungsumstellungsanträge der Bürger waren längst gestellt und wurden ab dem 1.7. umgesetzt.

Die Aufgabe nach dem 1. Juli war vielmehr, das wurde mir sehr schnell bewusst, die Währungsumstellung so schnell wie möglich abzuwickeln. Die Politik hatte der Sparkassenorganisation, und insbesondere den Sparkassen der DDR, quasi das gesamte Projekt übergeholfen. In diesem Punkt werde ich auch nicht müde, diesen Fakt immer wieder zu betonen. Die Wettbewerber stellten ihre frisch angemalten Container hin und hatten Null Aufwand mit den Umstellungsarbeiten. Sie öffneten mit Satellitenschüsseln auf ihren Containern und taten so, als ob es eine Filiale in München, Hamburg oder sonst wo wäre. Dann fischten sie sich gleich aus den Warteschlangen die Sparkassenkunden, um mit ihnen Bankgeschäfte abzuschließen.

Und wir? Etwa ein halbes bis zu einem Jahr hatte jede Sparkasse zu tun, die Folgewirkungen der Währungsumstellung zu bewältigen. Das war eine gigantische Aufgabe. Ich kann mich noch sehr gut an eine Geschichte erinnern, zu der sich ein Bild tief in mir eingeprägt hat: Als mich der damalige Sparkassendirektor in der alten Hauptstelle empfing und die Seitentür öffnete, lagen bis unter die Decke gestapelt auf den vielen Stufen der großen Treppenanlage die Umstellungsanträge. Wenn die Tür aufging, flogen sie auch teilweise herum. Für einen Banker, der mit Diskretion, Seriosität und Zahlenaffinität quasi „auf die Welt gekommen ist“, war das natürlich ein Kulturschock – einer der wenigen übrigens. Trotzdem ist alles gut gegangen. Kein Antrag ging damals verloren.

Was betrachten Sie rückblickend als größte Herausforderung?

Eine der größten Herausforderungen war, die Warteschlangen zu bewältigen, also die Währungsumstellung, die organisiert war, auch zu realisieren. Schon morgens gab es teilweise Menschenschlangen von 200 bis 300 Metern – für mich unfassbar. So etwas hatte ich vorher in meinem Leben noch nie gesehen. Die Leute waren anfangs durchaus geduldig. Doch nach zwei bis drei Wochen, als sie ihre Erfahrungen in der neuen Welt gesammelt hatten, änderte sich das. Die Bereitschaft, sich stundenlang anzustellen, nahm von Tag zu Tag immer mehr ab. Da gab es auch unschöne Szenen.

So ist zum Beispiel in einer völlig überfüllten Halle einmal jemand umgekippt. Ich saß gerade beim Direktor im Büro. Eine Kollegin kam und rief: „Herr Braun, Herr Braun, rufen Sie schnell die SMH!“  Ich wusste nicht, was sie von mir wollte und entgegnete: „Bitte sagen Sie mir, was die SMH ist.“ Sie antwortete: „Na die Schnelle Medizinische Hilfe.“ Ich entgegnete: „Sie meinen also einen Rettungswagen?“ – Als das dann geklärt war, habe ich natürlich sofort angerufen.

Solche Themen hatte man in der Folgezeit laufend. Ich verbrachte dann auch mal mehrere Tage bei den Wartenden vor der alten Hauptgeschäftsstelle. Gemeinsam mit einer Kollegin versuchte ich, die Menschen zu beruhigen. In glühender Hitze verteilten wir auch Getränke.

Wie müssen wir uns das vorstellen, nahmen die Menschenschlangen denn nicht ab?

Nein, für ca. 14 Tage nicht. Vielleicht nahmen sie mal 20 oder 30 Meter ab. Aber ansonsten jeden Morgen dasselbe Bild. Erst als die Bargeldlogistik durch war, beruhigte sich die Situation.

Apropos Bargeld: Gab es eigentlich Schwierigkeiten, die neue D-Mark in die ländlichen Sparkassenfilialen zu transportieren?

Wir sind da sehr pragmatisch vorgegangen. Logistische Themen gab es natürlich immer. Dann haben wir Wartburg, Trabi oder Lada genommen und sind losgefahren, um das Geld zu verteilen. Das war für mich auch das Reizvolle an der Aufgabe. Es gab Dinge, die untypisch waren. Aber sie mussten gelöst werden. Ich bin natürlich ebenfalls losgefahren und habe Geld verteilt – ohne Bewachung, ohne alles.

Damals hatte ich einen MINI Cooper und viele sagten: „Mensch, Ihr Auto ist ja noch kleiner als unser Trabi!“ – Leider waren die Autobahnen so schlecht, dass das nicht lange gut ging. Nachdem ich also mit dem MINI Cooper das Bargeld in der Gegend umhergefahren habe, war irgendwann die Platte vollkommen verschoben. Außerdem setzte ich immer auf, weil der Wagen so flach auflag.

Wie ging es nach dem 1.7. dann weiter?

Die Fragen in der zweiten Phase nach der Währungsumstellung lauteten: Wie stellen wir die Sparkassen auf einen marktwirtschaftlichen Kurs um? Wie sorgen wir dafür, dass der Privatkunde mit Beratungsbedarf, der keine Zeit und Lust hat, sich lange anzustellen, auch gut bedient wird? Wie bauen wir die Kundenberatung auf und welche Produkte bieten wir an? Wie sorgen wir dafür, dass die Einlagen möglichst in der Sparkasse bleiben?

Das waren unsere vordringlichsten Aufgaben, unmittelbar nach Einführung der D-Mark in der DDR. Alle Fragestellungen gingen fließend ineinander über. Daher bauten wir zuerst eine Kundenberatung auf. Für zwei Wochen betätigte ich mich mal eben schnell als Berater. Für die Kunden aus dem Spreewald, die stark einlagenlastig waren und daher unsere Passivseite der Bilanz abbildeten, machten wir einen Sonderschalter auf. So versuchten wir, diese Einlagen bei uns zu halten.

Offensichtlich war außerdem: Es gibt einen Mangel an Raum. Um Diskretion und vertrauliche Beratungsgespräche zu ermöglichen, fehlten Flächen. Den Bedarf, der damals gedeckt werden musste, empfinden Kunden heute als Standard. Wir hatten ca. sieben bis acht Filialen und sind dann schnell auf 23 gegangen, was sehr gut war und gebraucht wurde.

Die Kundenberatung war ja auch mit neuen Produktangeboten in der DDR verbunden. Wie haben die Kunden diese angenommen? Musste der Bedarf erst geweckt werden?

Ja, die Neugier war da; auch der Wissensdrang war groß. Aber es gab keine Selbstläufer. Mit Ausnahme von KNAX vielleicht. Damit sind wir 1990 gestartet im Tierpark Cottbus. An dem Tag gab es einen echten Besucherrekord. Innerhalb von einer Woche hatten wir 10.000 Kinder als Mitglieder. Damit war unser KNAX-Club einer der größten in Deutschland. Diesen Erfolg hat mir auf Sparkassen-Tagungen kein Mensch geglaubt. Aber eine KNAX-Mitgliedschaft hat eben auch eine große emotionale Komponente für die Kinder. Und für unsere Sparkasse war das der Startpunkt für unser sehr solides Fundament im Jugendmarkt. Bis heute ist der KNAX-Club die beste Basis für eine langjährige, vertrauensvolle Kundenbeziehung.

Bei allen anderen Produkten war das nicht so. Denn bei Bankdienstleistungen – egal ob Ost oder West – ist keine Emotionalität vorhanden. Das ist typisch für unser Geschäft. Es ist eben kein Auto. Es geht höchstens um Absicherung von Risiken, um die Altersvorsorge und so fort.

Wo Emotionalität tatsächlich spürbar wurde, das war beim Wohnungsbaukreditgeschäft und beim Unternehmertum. Beides hat sich explosionsartig entwickelt und die Umsetzung war zu diesem Zeitpunkt sehr anspruchsvoll. So gab es zum Beispiel bei den Kunden, die sich selbständig machen wollten, keine Erfahrungswerte zu ihren unternehmerischen Qualifikationen. Auch war ihr Eigenkapital gleich Null. Es musste also eingeschätzt werden: Ist der Mensch dir gegenüber ein Unternehmertyp? „Ja“ oder eher „Nein“? Für uns ist das ein Risikogeschäft gewesen.

Beim Wohnungsbaukreditgeschäft stand der Wunsch nach einem eigenen Haus, nach Umbauten und Sanierungen im Vordergrund. Diese Geschäfte haben sehr viel Spaß gemacht. Denn die Kunden waren froh, Kredite zu bekommen.

Herr Braun, haben Sie zum Schluss noch eine Anekdote für uns aus der Anfangsphase?

Da gibt es viele Geschichten. Aber ich erinnere mich noch sehr gut an folgende: Etwa 14 Tage nach der Währungsumstellung haben wir an einem Wochenende entschieden, dass wir uns die nicht besonders kundenfreundlichen Schalteraufsätze vornehmen und die gesamte Aufbaustruktur ändern. Erdacht, getan. Mit allen Männern, die in der Sparkasse vorhanden waren, schraubten wir die Aufsätze der Schalter 1-25 ab. Anschließend gestalteten wir Bereiche für Firmenkunden und für Privatkunden, wobei wir letztere nach Buchstaben gruppierten.

Als die Angestellten dann am Montag kamen, wurden sie erst eine halbe Stunde vor der Öffnung eingeweiht. Das war für einige ein Schock: Plötzlich war ihr Schutzschalter weg und sie waren nun von Kopf bis Fuß zu sehen. Die Face-to-Face-Situation war anfangs für einige nur sehr schwer umzusetzen. Uns ist sogar jemand umgekippt wegen der Neuerung. Aber: Innerhalb von nur zwei Wochen hat sich schlagartig der gesamte Kleidungsstil verändert. Niemand wollte etwa mit Schürze oder dergleichen dort sitzen. Das zeigt, wie schnelllebig diese Zeit war. Manchmal mussten über Nacht Lösungen gefunden werden. Gewaltige Veränderungen waren das damals.

Fortsetzung am 02.07.2020

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*Ralf Braun ist seit Januar 2004 Mitglied des Vorstandes der Sparkasse Spree-Neiße und seit nunmehr 30 Jahren im Osten der Republik zu Hause. Nach Lehre und Grundwehrdienst kam er 1990 im Rahmen des „regionalen Partnerschaftsprogramms“ der westdeutschen Sparkassenorganisation nach Cottbus. Die Sparkasse hatte großen Bedarf. Denn der Bezirk war noch „unterversorgt“, was die personelle Hilfe anbelangte, so die Feststellung auf dem Koordinatorentreffen Mitte Mai 1990.

Nachdem die Präsidenten der Regionalverbände Ende Mai und die anschließende außerordentliche Mitgliederversammlung am 18. Juni der zweiten Phase der personellen Hilfe zugestimmt hatten, die über die Währungsunion hinaus eine längerfristige Entsendung von rund 600 Fachkräften westdeutscher Sparkassen ab Juli 1990 sowie die Kostenübernahme vorsah, stand der kontinuierlichen Aufbauunterstützung in Ostdeutschland nichts mehr entgegen.

Auch Ralf Braun blieb nach der Währungsumstellung. In der ersten Zeit arbeitete er als persönlicher Referent des Vorstandes. Seine Aufgabenschwerpunkte waren vielfältig und betrafen neben der Aufbauorganisation der Sparkasse, auch Aus- und Fortbildung, die Neueinführung der Passiv-Produktpalette sowie die gesamte Vertriebspolitik mit Geschäftsstellennetz. Unter seiner Leitung wurden viele wichtige Projekte ein Erfolg, wie die Fusion der Sparkassen Cottbus, Forst, Guben und Spremberg zur Sparkasse Spree-Neiße zum 01.01.1995 und die anschließende Gestaltung des Corporate Design für das neue Haus. Nach der Fusion übernahm er als Marktbereichsdirektor die größte Marktdirektion in Cottbus. Zahlreiche Weiterbildungen und Führungsaufgaben qualifizierten ihn schließlich für die verantwortungsvolle Aufgabe als Vorstandsmitglied für den Marktbereich seit dem 01.01.2004.

Quellen: Vermerk über die Zusammenarbeit mit den DDR-Sparkassen – Koordinatorentreffen am 15./16. Mai 1990 in Berlin, Bonn, 21. Mai 1990; ZZI Ralf Braun, 12.05.2011, Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-75/2004; Niederschrift über die Verbandsvorsteherkonferenz am 28./29. Mai 1990 in Berlin; Ergebnisniederschrift über die Außerordentliche Mitgliederversammlung des deutschen Sparkassen- und Giroverbandes am 18. Juni 1990 in Frankfurt/Main, Bestand: Sparkassenhistorisches Dokumentationszentrum Bonn.

**Seminare bereiteten die westdeutschen Sparkassenangestellten auf ihren Einsatz in der DDR vor. Der Dachverband gab „Informationen für die Sparkassenarbeit in der DDR“ heraus. Im Vorwort dankt er den freiwilligen Helfern und unterstreicht: „Die Umorientierung auf eine Marktwirtschaft ist eine ungewohnte und zugleich ungeheure Aufgabe für die Kolleginnen und Kollegen in der DDR. Die Unterstützung der westdeutschen Mitarbeiter ist deshalb wichtig, weil Erfahrungen im Umgang mit Wettbewerbern und mit ratsuchenden Kunden in der DDR bisher nicht gesammelt werden konnten. Auch die Erweiterung der Produktpalette, die betriebswirtschaftliche Steuerung der Häuser sind neue Aufgaben […] Wir bitten Sie, an diese neuen Aufgaben mit Einfühlungsvermögen und Verständnis für die andersartigen Bedingungen in der DDR heranzugehen.“ Quelle: Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-Günther 9/2004.

  • Ade DDR-Mark! Hallo D-Mark! Kuriose Meldungen begleiten das Ankommen der D-Mark in der DDR: Am 28. Juni 1990 wird berichtet, dass das neue Geld in Dresden schon auf der Straße lag. Ein Sack frischgeprägter Münzen plumpste aus einem Geldtransporter. Erstaunte Bürger konnten nun beobachten, wie ein ganzer Konvoi zum Halten kam und bewaffnete Polizisten das Einsammeln absicherten. : © Historisches Archiv des OSV, Ausschnitt aus der Ausstellung Geldgeschichte(n), desingt von F. Fiedler, VISULABOR Berlin

D-Mark-Countdown im Spiegel der Presse

Blogserie, Teil 37

Jeden Tag erhalten unsere Kolleginnen und Kollegen eine Zusammenstellung von wichtigen Presseartikeln rund um die Sparkassenorganisation. Aktuelles aus dem Verbandsgebiet steht dabei im Mittelpunkt. So sind sie stets auf dem neuesten Stand, was Politik, Wirtschaft und Gesellschaft angeht. Am Puls der Zeit zu bleiben, lautet die Devise. Unerlässlich ist dies gar, will man als Verband mit seinen Beschäftigten die Rolle als Vordenker und Ideengeber ausfüllen.

Was heute gilt, ist vor 30 Jahren nicht anders gewesen. Eine Presseschau informierte auch im Sparkassenverband der DDR regelmäßig über aktuelle, für das Sparkassenwesen bedeutende Entwicklungen.* Der größte Unterschied besteht – abgesehen von einer inzwischen veränderten Medienlandschaft – sicherlich in der Herstellung. Seinerzeit wurde noch früh morgens alles manuell durchgeschaut, Relevantes ausgeschnitten, geklebt, beschriftet, vervielfältigt und per Hauspost verteilt. Dank der Digitalisierung gibt es für diese Arbeiten nun Suchroutinen, spezielle Clipping-Software und elektronische Verteiler.

Eine Woche vor der Währungsunion dreht sich 1990 in der Presse natürlich alles um die D-Mark. Wie auch schon in den Monaten und Wochen zuvor.** Die Bürger der DDR werden jedoch nicht nur mit Informationen, sondern zunehmend mit ermahnenden Ratschlägen und gut gemeinten Tipps überschüttet. Traute man damals niemandem einen besonnenen Umgang mit der harten Währung zu? Dann müssten die Fakten aus tatsächlichem Verhalten, Umfrageergebnissen und Interviews mit DDR-Bürgern nach dem 1. Juli umso überraschender für einige Bedenkenträger gewesen sein.***

Doch schauen wir in die Berichterstattung zum D-Mark-Countdown einfach mal hinein:

Am Montag, dem 25. Juni 1990, berichtet die Presse von einem „großen Ansturm auf DDR-Sparkassen“. Das letzte Wochenende vor der Umstellung wurde noch einmal rege genutzt, um Konten entsprechend anzumelden und sich DM-Auszahlungsquittungen ausstellen zu lassen. Einen Tag später erfahren die Bürger ein Lob von der Deutschen Bundesbank. Denn die durchschnittliche gewünschte Barauszahlung liegt nach dem 1. Juli unter 400 DM und ist damit „niedriger als erwartet“. In einem Interview am selben Tag empfiehlt der Präsident des Unternehmerverbandes der DDR, Rudolf Stadermann, jedem Bürger „nicht in einen Konsumkaufrausch zu fallen, auch wenn der Nachholebedarf riesig ist.“ Lieber solle man sparsam sein, Preise vergleichen und auf Qualität achten.

Damit die Bargeldschecks auch tatsächlich eingelöst werden können, wird im Hintergrund ein  gigantischer logistischer Aufwand betrieben. Die Presse meldet beeindruckende Zahlen: 25 Milliarden D-Mark sind inzwischen aus der Bundesrepublik in der DDR eingetroffen. Allein die Banknoten weisen ein Gewicht von etwa 600 Tonnen auf. Die Münzen wiegen 400 Tonnen. Die Erstaufbewahrung erfolgt im ehemaligen Reichsbank-Tresor in Berlin. Er ist 1990 mit 8.000 Quadratmetern der größte in Europa. 30.000 Bankangestellte und Helfer stünden ab Sonntag 9:00 Uhr für die DM-Auszahlungen bereit. Etwa 10.000 Ausgabestellen würden eingeplant sein.****

Die Regierungen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland schalten kurz vor der Währungsunion großflächige Anzeigen. Gemeinsam informieren und mahnen sie: „Wir bekommen durch den Umtausch Geld in die Hand, mit dem man überall in der Welt bezahlen kann. Wenn in ganz Deutschland dieselbe Währung gilt, tragen wir auch gemeinsam Verantwortung, daß die D-Mark so stabil bleibt wie bisher. Das kommt nicht von selbst, sondern muß durch Leistung gedeckt sein […]“. Passend dazu teilt die „Berliner Allgemeine“ mit, was die D-Mark im Sommerurlaub 1990 wert ist. Ihr Fazit: Der erste Feriensommer mit offenen Grenzen könne gern in Griechenland, in der Türkei oder in Portugal verbracht werden. Aber auch Fernziele, wie die USA oder Kanada, sind attraktiv. Reisende haben mit der D-Mark in diesen Ländern in jedem Fall Kaufkraftvorteile. Einen wichtigen Hinweis gibt es noch für DDR-Bürger: Sie mögen doch in Europa das populärste Reisezahlungsmittel, den „eurocheque“, verwenden – also bequem ohne Bargeld unterwegs sein.

Auch der Ministerrat tagt in der Countdown-Woche zum letzten Mal vor dem „Start in die Union“.  Feinabstimmungen stehen auf dem Programm und Beratungen zu Regelungen des Steuerrechts, Zahlungsverkehrs, Zollgesetzes sowie der Außenwirtschaft. Auf einer anschließenden Pressekonferenz wird den Bürgern für ihr Engagement gedankt. Sie sollen mit „Hoffnung und Zuversicht“ in die nächsten Wochen und Monate blicken. Außerdem werden bisherige Subventionen für Energie, Wohnungen und Verkehr bis Jahresende weiter zugesichert. Den Betrieben werden Zulagen bei Investitionen in Aussicht gestellt, Neugründern eine zweijährige Steuerbefreiung.*****

Einen Tag vor der DM-Auszahlung, am 30. Juni 1990, warnt das Zentrale Kriminalamt die DDR-Bürger bereits vor der Gefahr gefälschter Banknoten und Münzen.  Man solle bei den Banknoten auf Erkennungsmerkmale achten, wie zum Beispiel an das durchscheinende Kopfwasserzeichen im druckfreien Bereich oder den fühlbaren Sicherheitsfaden. Münzen könnten geprüft werden. Echte klingen beim Fallen voll und rein im Gegensatz zu den eher dumpf tönenden Fälschungen.

„Bleiben Sie cool im heißen D-Mark-Sommer“, rät am selben Tag Gerd Warda in der „Berliner Zeitung“ und „Bedenken Sie: Hinter der Fassade des Überflusses geht es um Geld.“ Daher sollten die Bürger erst einmal Festgeld-Anlagen bevorzugen, abwarten, vergleichen und prüfen und bloß nicht „auf den ersten besten Vertreter“ hereinfallen, der vor der Tür stehen werde. Denn auch der wolle „nur eins: Ihr Geld!“

Was der D-Mark-Countdown außerdem mit sich bringt und vielen noch in Erinnerung sein dürfte: gähnend leere Regale. In Berlin wird sogar von einem „dramatischen Tiefpunkt“ der Versorgungslage berichtet. Immerhin kann man vor den Kaufhallen das Nötigste, wie Brot, Milch, Butter oder Kindernahrung, erstehen. Doch die Händler haben keine Wahl. Sie müssen sich auf den neuen Warenbestand und neue Preise ab dem 2. Juli 1990 einstellen. Ganz nebenbei soll auch noch eine Generalinventur gestemmt werden. So stehen stressige 12-Stunden-Tage am DM-Umstellungs-Wochenende nicht nur den Sparkassen bevor, sondern auch dem Handel.******

Fortsetzung am 29.06.2020

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*Aus Kapazitätsgründen stellte der Sparkassenverband der DDR die täglichen Presse-Information noch nicht selbst her, sondern bezog sie über den Verteiler der Pressestelle der Staatsbank der DDR. Später übernahm die Abteilung Presse, Öffentlichkeitsarbeit und Volkswirtschaft, heute Team Kommunikation, diese Aufgabe im Ostdeutschen Sparkassen- und Giroverband. Seit 2001 gibt es den Pressespiegel des Verbandes als elektronische Variante. Ein BGH-Urteil schuf schließlich die urheberrechtlichen Voraussetzungen, um auch den Mitgliedssparkassen ab Januar 2003 den Pressespiegel nicht mehr in Papierform, sondern serviceorientiert auf elektronischem Wege und damit tagesaktuell zuzusenden. Quellen: Vorstandsinformation Nr. 129/2002, Akte HA-Günther 1/2004.

**So stand zum Beispiel der Sparkassenverband der DDR bereits am 7. Juni 1990 am Service-Telefon des ND für Fragen und Auskünfte rund ums neue Geld zur Verfügung. Leser interessierten sich für zukünftige Überweisungs- und Kontogebühren oder für Sparformen mit gesetzlicher Kündigungsfrist. Viele Fragen betrafen die Modalitäten der Antragstellung zur DM-Umstellung oder auch die Auszahlungsquittungen, die maximal über 2.000 DM ausgestellt werden konnten und für den Zeitraum 1. bis 6. Juli 1990 gültig waren. Gewerbetreibende wollten wissen, ob Wechselgeld ab dem 2. Juli zur Verfügung stehen würde. Ausländische Bürger und ältere Menschen fragten an, wie sie den Umtausch bewerkstelligen sollen. Jedes Thema wurde geduldig und klärend beantwortet, sodass die Presseinformation am nächsten Tag schließlich als praktikable Handreichung genutzt werden konnte. Quellen: Neues Deutschland, Jg. 45, 131. Ausg., 08.06.1990, S. 2.

***Umfrageergebnisse einer Marktanalyse in ca. 1.000 DDR-Haushalten zeigten deutlich, dass DDR-Bürger nach dem 1. Juli 1990 umsichtig und überlegt mit der neuen D-Mark-Situation umgingen. Im Vordergrund standen Sparen, Einkommen und Arbeitsplatzsicherung, Verringerung der Umweltverschmutzung und die eigene Altersvorsorge. Erst danach rückten Konsumwünsche in den Fokus, wobei ein neues Auto und das Reisen zu den Favoriten zählten. Eine Untersuchung des Allensbacher Instituts für Demoskopie bestätigt, wie andere Umfragen zuvor, die Ausgabendisziplin der DDR-Bürger. 1.500 Interviews führten hier zu der Erkenntnis, dass die Ostdeutschen große Kaufwünsche einerseits und eine eiserne Disziplin im Umgang mit Geld andererseits miteinander verbinden. 73 Prozent gaben sogar an, „man sollte sich nichts kaufen, was nicht auch sofort bezahlt werden kann.“ Statistisch gesehen, gab es keinen Westdeutschen der 1990 laut Allensbacher dieser Meinung gewesen wäre. Quellen: Neues Deutschland, Jg. 45, 153. Ausg., 04.07.1990, S. 6.; Berliner Zeitung, 46. Jg., 229. Ausg., 01.10.1990, S. 3.

****Die Deutsche Bank lässt über die Presse am 30. Juni 1990 mitteilen, dass sie bereits ab Mitternacht ihre Geschäftsstelle am Alexanderplatz 6 für DM-Auszahlungen öffnet.

*****ND-Korrespondenten machten sich vor der Währungsumstellung auf den Weg, um direkt vor Ort in Erfahrung zu bringen, wie man sich „auf die harte D-Mark(t)-Zeit vorbereitet“ fühlt. Sie fragten bei Unternehmen in Mecklenburg, im Anhaltinischen und in Sachsen nach. Im Ergebnis hielten sie ein Stimmungsbild fest, was 1990 für das ganze Land zutrifft. Es ist ein Schwanken zwischen Sorge und Optimismus, zwischen Aufbruchstimmung und noch ausstehenden Aufträgen, zwischen Strukturveränderungen, dem Ausbau rentabler Produktionssortimente und einer motivierten Belegschaft einerseits und dem Fehlen gesetzlicher Rahmenbedingungen, mangelnder bzw. widersprüchlicher Informationen staatlicher Stellen, verbunden mit großer Unsicherheit andererseits. Quelle: Neues Deutschland, Jg. 45, 150. Ausg., 30.06.1990, S. 6.

******Quellen: Berliner Allgemeine, Berliner Zeitung, Die Welt, Junge Welt, Neues Deutschland, Neue Zeit, div. Ausgaben vom 25.06. bis 30.06.1990.