• © Historisches Archiv des OSV

„Ich brachte 1990 genug Erfahrung mit, um die Akademie aufzubauen.“ – ein Gespräch mit Berthold Deutscher

Die Aktenlage ist eindeutig und verweist am heutigen Tage auf einen runden Geburtstag: Denn aus der „Ostdeutschen Sparkassenakademie i. G.“ wird am 9. Oktober 1991 die „Ostdeutsche Sparkassenakademie“. Der Vorstand des Ostdeutschen Sparkassen- und Girobverbandes beschloss auf seiner 2. Sitzung neben der Gründung auch, dass zeitnah eine Satzung sowie Stellenplan und Gebührenordnung vorzulegen seien. Zur Kenntnis nimmt das Gremium außerdem die Bestellung von Dr. Jürgen Wassermann als Akademieleiter.

Soweit also unsere Unterlagen. Doch wie wurde die Aufbauphase von denjenigen wahrgenommen, die maßgeblich daran beteiligt waren? Im Sommer 2014 sprachen wir mit Berthold Deutscher.* Er kam bereits im Mai 1990 zum Verband und war unter anderem dafür zuständig, den Bildungsbetrieb einzurichten. Welche Erfahrungen er dabei machte und welche Herausforderungen zu meistern waren, erzählte er uns in einem Zeitzeugengespräch:

Herr Deutscher, lassen Sie uns gemeinsam auf das Jahr 1990 zurückblicken. Wie muss ich mir den Aufbau einer Sparkassenakademie in dieser schnelllebigen Umbruchzeit vorstellen? Was war zu tun?

Naja, es war erst einmal so, dass ich im Mai 1990 als Stellvertreter auf der Leitungsebene beim Sparkassenverband der DDR eingestellt worden bin. Verantwortlich war ich für Personal, Ausbildung und Verwaltung. Das war ein großes Spektrum, für das ich zuständig war. Gute Mitarbeiter organisierten bereits die Bereiche Finanzen und Personal – den Bereich Ausbildung gab es in dem Sinne noch nicht. Der war praktisch neu aufzubauen. Ich hatte Glück, hier eng mit Professor Dr. Günter Ashauer, dem Leiter der Deutschen Sparkassenakademie in Bonn, zusammenarbeiten zu können. Er hatte viel Erfahrung, war mit Gastdozenten aus Bonn, aber auch schon mit Gastdozenten aus den regionalen Sparkassenakademien in der DDR unterwegs, um Lehrgänge zu begleiten.

Unser Grundsatz lautete damals: „Wir müssen die Ausbildung vor Ort organisieren und aufbauen! Aber wir brauchen auch eine eigene Akademie.“ Die strittige Frage war: Bleibt es bei einem Fünf-Länder-Verband oder gibt es ein Auseinandergehen? Es gab damals viele unterschiedliche Interessen. Der Sparkassenverband in Niedersachsen hätte zum Beispiel gern die Ausbildung übernommen. Er hatte vorher schon die Berliner Sparkasse mitbetreut. Dass die fünf neuen Bundesländer sich auf einen gemeinsamen Sparkassenverband einigen, ergab damals Sinn. Denn die einzelnen Länder waren im Vergleich zu den alten Bundesländern von der Struktur her kleiner und es ging ja darum, dass ein neuer Regionalverband auch mit den anderen gleichziehen kann.

Ging es Ihnen hier vor allem um einen Vergleich auf Augenhöhe?

Ja, so ungefähr. Insbesondere, was die Anzahl der Beschäftigten im Verband und in den Sparkassen anbetrifft. Insgesamt hatten die Sparkassen in der DDR etwa 20.000 Mitarbeiter. 1990 waren es unsere Sparkassen, die Personal einstellten und nicht abbauten. Praktisch wuchsen wir 1991/1992 um 10.000 und hatten schließlich mehr als 30.000 Beschäftigte. Die Personalaufstockung war dringend erforderlich. Um im Konkurrenzkampf zu bestehen, mussten schnellstens Leute eingestellt und natürlich auch ausgebildet werden.

Wir waren überzeugt: Vieles muss gleichzeitig und nicht nacheinander getan werden! Die regionalen Sparkassenakademien haben uns dabei unterstützt. Einerseits konnten unsere Beschäftigten an ihren Bildungslehrgängen teilnehmen. Andererseits lernten unsere Leute in der Praxis bei einer Partnersparkasse, zum Beispiel Lehrlinge für ein halbes Ausbildungsjahr oder auch Kreditsachbearbeiter, Planer und vor allem Mitarbeiter, die für die Darlehensgewährung und für Geldanlagen zuständig waren.

Wie setzten Sie bei den gleichzeitig zu erledigenden Aufgaben die Prioritäten?

Nun, als ich das erste Mal mit Professor Ashauer zusammengetroffen bin – das werde ich nie vergessen, denn es war in Tegel, im VIP-Raum, er war nur auf der Durchreise, kam aus Stockholm und hatte wenig Zeit – stellten wir ein Vierzehn-Punkte-Programm auf. Demnach hatte der Aufbau der Akademie, das heißt, das Finden geeigneter Räumlichkeiten für den Unterrichtsbetrieb, ganz klar Vorrang. Wir entschieden uns schließlich für eine Ausbildungsstätte in Berlin-Rahnsdorf. Dort gab es auch ein Hotel mit einer Kapazität von etwa 100 Betten.

Was war das für eine Ausbildungsstätte?

Das war in der DDR das „Zentralinstitut für sozialistische Wirtschaftsführung beim ZK der SED (ZISW)“. Dort wurden Generaldirektoren aus den Kombinaten usw. ausgebildet. Es war also ein Ort auf einem wirklich hohen Level. Auch ein Hörsaal war vorhanden. Der Lehrbetrieb konnte sofort aufgenommen werden. Die Leute vor Ort waren auch froh, weil es ja Teilnehmer alter Couleur nicht mehr gab. So nahmen wir das Objekt in Besitz und buchten von Anfang an 100 Plätze. Lehrgangsteilnehmer und Gäste nutzten das Hotel und auch Pensionen in der Nähe, die zum Beispiel aus kleinen Gaststätten neu entstanden waren. Auf diese Weise hatten wir 200 Betten zusätzlich zur Verfügung.

Was wurde von Ihnen in Rahnsdorf konkret gestaltet?

Unsere Aufgabe war es, dort den richtigen Lehrgangsbetrieb zu organisieren – bis hin zur Umstellung der Ausbildungsdauer. Das war ebenfalls eine gewaltige Aufgabe. Denn wir hatten ja über 3.000 Lehrlinge und mussten die Umstellung von der zweijährigen auf eine dreijährige Ausbildung auf den Weg bringen. Zur damaligen Zeit gab es in der DDR generell nur eine zweijährige Ausbildung. Aber die BRD hatte eine dreijährige. Also mussten wir entsprechende Programme entwickeln. Das haben wir gemeinsam mit den Ausbildungsverantwortlichen der Sparkassen bewerkstelligt. Gleichzeitig mussten wir, und zwar massiv, Ausbilder qualifizieren. Wir kannten so etwas nicht: bestätigte Ausbilder in der Sparkasse. Wir hatten zwar Ausbilder, die dann die Lehrlinge im Durchlaufplan begleiteten, aber es war keine Prüfung für diese vorgesehen. Also mussten schnellstens Ausbilderlehrgänge durchgeführt werden, um dem bundesdeutschen Recht zu entsprechen. Jede Sparkasse hatte ja mehrere bestätigte Ausbilder zu haben, je nachdem, wie viele Lehrlinge es vor Ort gab.

Wir bekamen dafür übrigens ministerielle Unterstützung, konnten vier Planstellen nur für diese Ausbildung aufbauen. Ich dachte zuerst: „Das kann nicht wahr sein, dass wir Geld erhalten!“ Aber da waren Fördermittel für diese Berufsausbildung vorgesehen. Und obwohl wir als Sparkassen ja ökonomisch gut dastanden, rief mich der Stellvertreter von der Akademie in Bonn an einem Freitag an und sagte: „Herr Deutscher, es muss blitzschnell ein Antrag gestellt werden! Er müsste am besten am Montag beim ehemaligen Ministerium für Berufsschulwesen abgegeben werden!“ Ich erinnere mich, dass die Sekretärin am Sonntag in den Verband bestellt wurde. Die Anträge wurden praktisch gleich in die Maschine diktiert. Das hat gut geklappt. Ja, und so bekamen wir dann tatsächlich Fördermittel für unsere Akademie. Hätte ich nicht für möglich gehalten. Später wurden diese Stellen sogar in richtige Planstellen umgewandelt. Das war dann der Grundstock, den wir systematisch ausgebaut haben.

Wann begann der tatsächliche Lehrbetrieb in Rahnsdorf?

Das war schon gleich 1990. Zu klären war dann noch die rechtliche Seite. Das war nicht leicht, weil sich herausstellte: Es handelte sich bei dem Standort um eine Parteieinrichtung und war damit Eigentum der SED. Als wir in Verhandlung getreten sind, hat sich wiederum eröffnet, dass die Partei das Objekt der Gewerkschaft „weggenommen hatte“. Diese Einrichtung, dieses Hotel, war also ursprünglich eine Bildungseinrichtung des FDGB gewesen. Somit gab es strittige Eigentumsfragen.

Die vollständige Aufklärung hätte lange dauern können. Und so sind wir auf Potsdam gekommen. Wir wollten eigentlich Rahnsdorf als Bildungsstätte ausbauen für die Sparkassen. Aber dann haben wir uns schließlich gefragt: „Muss es denn unbedingt Berlin sein?“ Die Stadt war vorbelastet, von hier aus wurde schließlich diktatorisch regiert. Viele wollten Berlin als Standort deswegen nicht haben. Und so kam es zur Zusammenarbeit mit der LBS-Ost, die für sich gerade auf der Suche nach einer Zentrale war.

Entdeckt wurde dadurch also der heutige Standort „Am Luftschiffhafen 1“ in Potsdam?

Ja. Die LBS hat ihn in Brandenburg, in Potsdam gefunden. Am Luftschiffhafen steht heute unsere Akademie. Als wir das mitbekommen haben, kam die Idee auf: „Kann das dann nicht ein gemeinsames Projekt werden?“ Die Eröffnung erfolgte dann 1996.

1994 war die Grundsteinlegung.

Richtig. Wir hatten vorher die Zusammenarbeit mit der Bonner Sparkassenakademie einerseits. Andererseits war ich selber einmal in Landshut in der Bayerischen Sparkassenakademie und auch in Eppstein, der Hessischen Sparkassenakademie. Ich habe mir alles angeschaut, insbesondere wegen der Frage der Größenordnung. Wir hatten etwas Bedenken, dass die neu zu bauende Akademie zu groß werden könnte. Für die 1990er Verhältnisse waren die Zahlenansätze richtig. Aber wir waren uns im Klaren darüber, dass auf die Dauer eine so große Kapazität nicht auszulasten sein wird für unsere fünf Länder – Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Aber das hat für uns damals nicht die größte Rolle gespielt. Es war wichtiger, in den Aufbaujahren die Sparkassen stabil zu gestalten mit gut ausgebildeten Leuten, die der Konkurrenz standhalten können. „Das andere müssen wir später klären. Dann müssen wir sehen, dass wir die Räumlichkeiten eventuell vermieten oder dass wir auch eine andere Ausbildungseinrichtung mitnutzen“, so unsere Überzeugung.

Ihnen war also von Anfang an klar, dass die Ostdeutsche Sparkassenakademie zu groß geplant wurde?

Für einige, ja. Aber nicht für alle. Ich kann nur sagen, dass ich darum gekämpft habe, weniger Kapazitäten zu planen. Wir hatten ermittelt, dass wir eine Bettenkapazität für 400 Menschen brauchen. Doch dann kamen noch 100 Betten an Kapazität für die LBS dazu. Da haben wir uns ernsthaft gefragt: „Muss das denn wirklich sein?“

Über 500 Betten wurden schließlich geplant. Darum gab es Streit. Aber die LBS bestand auf 100 Betten für die Schulung ihrer Mitarbeiter. Die 400 Betten für die Akademie waren nicht allzu viel. Ich war in anderen regionalen Sparkassenakademien. Dort wurde mir bestätigt: „Ein Auslastungsgrad für so und so viele Sparkassenmitarbeiter rechnet sich schon. Natürlich nicht auf Dauer!“ Aber damals ging es eben nicht anders. Wir mussten ja tausende Beschäftigte schulen. Praktisch musste selbst derjenige noch einmal neu einen Lehrgang mitmachen, der schon einen Abschluss als Sparkassenkaufmann oder Bankkaufmann zu DDR-Zeiten hatte. Auch die Direktoren, die eine Vorstandsposition übernehmen sollten. Für sie hatten wir spezielle Lehrgänge mit Dozenten überwiegend aus den alten Bundesländern vorgesehen. Das ist ja logisch. Diese schulten entsprechend den Erfordernissen des damaligen Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen. Die Direktoren mussten ihre fachliche Kompetenz hinreichend nachweisen. Daher gab es für sie diese speziellen Lehrgänge. Das war enorm.

Also kann man festhalten, die Lehrgänge der Akademie waren von Beginn an ausgebucht?

Ja, voll ausgelastet war die Akademie.

Als Service haben wir außerdem vor Ort Prüfungen abgenommen. Da gab es natürlich auch Diskussionen. Die  Mitarbeiter der Sparkassen sollten an die Akademie kommen. Doch als Vorgesetzter habe ich entschieden: „Wir fahren!“ Und da waren wir eben in Rostock, Dresden, Leipzig usw., um Prüfungen abzunehmen. So brauchten die Teilnehmer nicht extra zur Akademie kommen, sondern wir sind hingefahren. Das war der geringere Aufwand. Außerdem dachte ich daran, dass wir vor allem weibliche Beschäftigte in den Sparkassen haben, mit Familien. Ihnen dann noch zuzumuten, zwei Tage oder einen zu einer Prüfung zu fahren … Wie auch immer. Es war einfach notwendig, das anders zu organisieren. Da haben wir tatsächlich viele Überstunden gemacht und das Akademieteam hat mächtig rangeklotzt, damit wir das hinbekommen.

Wie wurde eigentlich der erste Akademieleiter gefunden?

Die Akademieleitung wurde als Stelle ausgeschrieben. Kurios war dabei, dass ich in der Auswahlkommission mit dabei war – sozusagen als amtierender Chef der Akademie. Wir haben also einen Nachfolger für mich gesucht. Die Vorstellungsgespräche fanden in Berlin statt. Für mich war ganz klar: Wir brauchen jemanden, der Erfahrungen hatte im Aufbau des Sparkassenwesens und vor allen Dingen auch die ganze fachliche Thematik beherrschte. Hinzu kam mein Alter, sodass ich erklärte: „Es würde sich rechnen, wenn jemand um die 40 genommen werden würde.“ Ich war letztendlich froh darüber, dass ich von meinen drei Säulen, die ich ja alle im Verband zu erledigen hatte, etwas befreit wurde. Die stellvertretende Leitung blieb weiterhin bei mir, als dann die Wahl auf Dr. Jürgen Wassermann fiel. Er erhielt einen Vertrag für fünf Jahre bis 1996. Als dieser nicht verlängert worden ist, bin ich dann noch einmal zum amtierenden Leiter berufen worden und hatte die große Aufgabe zu erfüllen, die Akademie von Rahnsdorf nach Potsdam umzuziehen. Sie müssen sich vorstellen, zu diesem Zeitpunkt war ich schon 63 Jahre alt, hatte üblicherweise eine 60-stündige Arbeitswoche. Ich wollte das Amt nicht. Doch die Verbandsleitung bat mich darum, weil ich eben hinsichtlich des Umzugs bestens im Bilde war. Wenig später erfolgte die nächste Ausschreibung und es wurde Professor Dr. Roland van Gisteren berufen. Das ging sehr schnell.

Wenn Sie auf das Thema „Bildungseinrichtung“ allgemein schauen, was müsste da beachtet werden?

Nach meinem Verständnis hat die Bildung stets Vorrang und nicht etwa die verwaltungsadministrative Seite einer Akademie. Die Hauptfrage einer Akademie betrifft die Bildungskapazitäten, die man hat. Dass man den Beschäftigten in den Sparkassen theoretischen Vorlauf schafft, damit sie qualitativ gut arbeiten können. Und natürlich, damit sie besser sind als die Konkurrenz. Darauf muss man sich konzentrieren und nicht so sehr auf die Verwaltungsfragen. Das ist uns damals gelungen, meine ich. Wir haben tatsächlich Bildungsinhalte in den Mittelpunkt gerückt. Ja, und die Verwaltung des Verbandes hat gut mit uns zusammengearbeitet. Aber: Wir waren doch relativ selbständig.

Mit Bedauern habe ich nach meinem Ausscheiden 1998 mitbekommen, dass es Bestrebungen gab, die Struktur zu verändern und praktisch die Akademie der Verwaltungseinheit zu unterstellen oder anzubinden. Das fand ich nicht gut. Wobei ich sagen muss, in meinem Alter ist man ein bisschen konservativ. Die aktuellen Dinge habe ich nicht so verfolgt, auch keinen Vergleich zu anderen Akademien gezogen. Fragen wie: „Was entwickelt sich generell auf dem Bildungsmarkt? Wie sind da die Strukturen? Wie ist generell die Auffassung in der Sparkassenorganisation? Muss jeder Verband eine eigene Akademie haben? Haben wir nicht genug Hochschulen, die sich mit Finanzen beschäftigen? Könnten dort nicht die Leute für ein höheres Level ausgebildet werden? Muss das denn in einer eigenen Hochschule sein?“ Also all‘ das sind zum Beispiel wichtige Fragen. Damals haben wir uns stark gemacht: Wir wollten uns speziell für die Sparkassen ausrichten.

Herr Deutscher, möchten Sie zum Schluss noch etwas ergänzen?

Ja, gern. Mir lag am Herzen, Ihnen mitzuteilen, dass unsere Hauptaufgabe darin bestand, die vorhandenen Beschäftigten, die wir in unseren Mitgliedssparkassen hatten – überwiegend sehr tüchtige Frauen – gut weiterzubilden. Es war eine immense Herausforderung für die Frauen, die meist zwischen 40 und 45 Jahre alt waren und Familie hatten, zu verlangen, sich noch einmal zu qualifizieren für ihre Arbeit und auf Lehrgänge zu gehen. Das war eine harte Realität, in der ich darauf bestand: „Wir müssen das mit Einfühlungsvermögen machen! Denn manche werden vielleicht nicht mehr in der Lage sein, die Theorie und das Neue, das auf sie zukommt, so schnell zu begreifen! Aber in den Lehrgängen müssen wir gleichzeitig auf Qualität achten, sodass es keinen Sparkassenabschluss zweiter Ordnung gibt. Wenn wir einen Sparkassenkaufmann haben wollen, dann muss die Qualität stimmen. Wir dürfen keine Abstriche machen.“ Darauf haben wir dann auch die Dozenten eingeschworen. Sie sollten im Niveau nicht heruntergehen. Denn mit „Augen zudrücken“, könnten in der praktischen Arbeit Fehler passieren. Dazu muss ich ergänzen, dass ich Hochachtung vor den vielen Frauen hatte angesichts ihrer Doppelbelastung.

Über mein fast 50-jähriges Arbeitsleben kann ich sagen, dass ich zu Beginn meiner Berufsausbildung irgendwie Glück gehabt habe und ich einen Weg gegangen bin, wo Finanzen und Lehrtätigkeit miteinander gekoppelt waren. Dass ich dann, zum Abschluss meines Berufslebens praktisch wieder zu Finanzen und Lehrtätigkeit gekommen bin, war für mich ein krönender Abschluss. Ich brachte 1990 ja genug Erfahrung von der Finanzschule Gotha mit. Zusätzlich verfügte ich über Leitungserfahrung und Menschenkenntnis. Ich wusste: „Ich kann das einbringen, um eine Akademie aufzubauen!“**
————————–

*Berthold Deutscher war in den 1990er Jahren nicht nur maßgeblich am Aufbau der Ostdeutschen Sparkassenakademie, heute Nord-Ostdeutsche Sparkassenakademie, beteiligt, sondern verantwortete als kommissarischer Leiter im Alter von 63 Jahren 1996 auch den Umzug von Rahnsdorf nach Potsdam. Als Deutscher 1998 in Rente ging, blickte er auf ein aufregendes, fast 50-jähriges Arbeitsleben zurück. Bis 2003 stand Berthold Deutscher der Akademie noch als Dozent zur Verfügung. Geboren 1933, begann bereits mit 15 Jahren sein Einstieg ins Berufsleben. 1951 beendete Deutscher erfolgreich seine Lehre bei der Kreissparkasse Leipzig. In den Jahren darauf nahm er ein Studium an der Fachhochschule für Wirtschaft in Gotha, anschließend an der Hochschule für Ökonomie in Berlin auf. Als Diplom-Wirtschaftler war er bis Mai 1990 als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten (MfAA) in Berlin tätig. Am 16. Mai 1990 übernahm Deutscher als Verbands-Abteilungsdirektor neben vielen anderen Aufgaben auch den Aufbau einer Akademie für die Mitgliedssparkassen. Bis zu seinem Tod am 13. November 2019 blieb er in Kontakt mit seinen ehemaligen Kolleginnen und Kollegen, wurde zu Treffen eingeladen, blieb geschätzt und beliebt als „Mann der ersten Stunde“, als lebenserfahrener Gesprächspartner, aber vor allem auch als stets respektvoller Vorgesetzter.

**Auszug aus dem Zeitzeugeninterview mit Berthold Deutscher vom 06.08.2014.

***Bild Textmitte, Auszug aus Akte 101-7/1999.

  • Claus Friedrich Holtmann, 2011 : © Ostdeutscher Sparkassenverband

„mit Leib und Seele Sparkassenmann“ – Erinnerungen von Claus Friedrich Holtmann

Teil 2

Gestern berichteten wir über Erinnerungen von Weggefährten an Claus Friedrich Holtmann. Im Januar 2013 hatte er Zeit für ein Interview. Wir sprachen mit ihm über die vielen Stationen seines Lebens* und natürlich auch über seine Eindrücke zum turbulenten Jahr 1990 als neuer Prüfungsstellenleiter des Ostdeutschen Sparkassenverbandes.

Herr Holtmann, wie haben Sie Rainer Voigt, den ersten Präsidenten unseres Verbandes, eigentlich kennengelernt und wann kam der Gedanke auf, dass Sie den Aufbau der Prüfungsstelle übernehmen könnten?

Das war im März 1990 in Bonn, am Rande einer Besprechung der Prüfungsstellenleiter im Hotel Poppelsdorf. Dort war die Delegation der DDR untergebracht. Abends kam Helmut Geiger, Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV), auf mich zu und sagte: „Herr Holtmann, Ihnen traue ich den Aufbau einer Prüfungsstelle beim Sparkassenverband der DDR zu. Sprechen Sie einmal mit dem Herrn Voigt und seinen Kollegen. Und erzählen Sie bitte, was Prüfungswesen bedeutet.“ Daraufhin haben wir vielleicht eine halbe Stunde zusammengesessen und geredet. Wie viel dabei rübergekommen ist oder nicht, kann ich nicht sagen. Auf den Rainer Voigt sind damals viele Dinge eingestürzt.

Und wie ging es dann weiter?

Ich habe Rainer Voigt dann erst am 1. September 1990 in Großburgwedel auf dem 50. Geburtstag von Dietrich Hermann Hoppenstedt, damals Präsident des Niedersächsischen Sparkassenverbandes, wiedergetroffen. Ich war zu der Zeit engster Mitarbeiter auf Wirtschaftsprüferseite bei Hoppenstedt. Dort haben wir uns dann noch einmal miteinander unterhalten.

Welche Rolle spielte der Dachverband?

Dem DSGV war zu der Zeit klar, es wird dringend ein Prüfungsstellenleiter hier im Osten gebraucht. Ich kam zu dieser Zeit gerade von einer langen Englandreise zurück. Geiger rief mich an und fragte: „Würden Sie das machen?“ Ohne Nachzudenken antwortete ich: „Natürlich mach ich das!“

Danach ging alles relativ schnell. Ende September gab es Vertragsverhandlungen. Rainer Voigt kam nach Hannover. Sie dürfen in diesem Zusammenhang nicht vergessen: Jemand der in Westdeutschland etabliert war, der hatte damals, wenn er einigermaßen gut war, ja auch eine Chance. Ich hatte zudem eine Rückkehrgenehmigung und damit ein begrenztes berufliches Risiko. Das muss man ganz deutlich sagen. – Ich wäre auch schon im Juni gekommen, aber das habe ich mit meinem Verband in Hannover damals nicht vereinbaren können. Denn dort war ich designierter Prüfungsstellenleiter und man wollte mich nicht gehen lassen.

Rainer Voigt erinnerte sich, dass Sie in einer sehr schwierigen, rechtlich unsicheren Lage die Prüfungsstelle übernommen haben.

Ja, es war tatsächlich so, dass die Bankenaufsicht gesagt hat: „Wenn es euch nicht gelingt, hier innerhalb kürzester Zeit einen Wirtschaftsprüfer zu engagieren, der das Prüfungswesen macht, dann kann man dies nicht mehr als Verband, als Pflichtverband, sehen.“ Also insofern hat Rainer Voigt sicherlich recht mit seiner Aussage.

Voigt und ich hatten übrigens sehr schnell ein gutes Vertrauensverhältnis. Und dadurch, dass ich mich schon immer für strategische Fragen interessiert habe, befasste ich mich relativ schnell auch mit der Strategie unseres Verbandes. Wir erkannten gemeinsam, was man verändern muss. Und wir stellten fest, dass die Lage so aussichtslos nicht ist. Gemeinsam haben wir einige Dinge hinbekommen, mussten aber auch eine ganze Menge Niederlagen einstecken. Denn unter der westdeutschen Überschrift „Wir helfen euch“ gab es 1990 nicht nur wohlmeinende Angebote.

Wie müssen wir uns den Aufbau der Prüfungsstelle vorstellen? Womit haben Sie begonnen?

1990 haben wir uns zuerst die EDV vorgenommen. Das heißt, wir entwickelten unsere Schreibsysteme. – Der Aufbau der Prüfungsstelle hat insgesamt über vier Jahre gedauert. Man war ja umgeben von Schlaubergern. Minister sagten zu mir: „Herr Holtmann, Sie müssen im Prüfen schneller werden.“ Ein Akademieleiter meinte wiederum: „Wissen Sie, wir bilden Ihre Leute in drei Wochen aus, dann kriegen die das Verbandsprüferexamen und dann können Sie loslegen.“ Dass das so nicht umsetzbar war, dass Inhalte dahinterstanden, konnten Sie Außenstehenden nur ganz schwer vermitteln.

Letztendlich führte ich hier vier Jahre lang „einen Tanz auf dem Drahtseil“ auf. Aber ich sorgte dann dafür, dass alle meine Mitarbeiter das westdeutsche Verbandsprüferexamen machen. Wenn ich das mal so sagen darf: Es gab keine Zugabe, keine Zugeständnisse. Ein paar sind auch durch das Examen gefallen. Ich erinnere mich jedoch an einen Kollegen, der hat mit Mitte 50 das Verbandsprüferexamen mit Bravour bestanden. – Unsere Prüfer waren danach natürlich sehr selbstbewusst. Sie hatten jetzt einen guten Abschluss und wir zahlten sofort Westgehälter. Dafür war ich Rainer Voigt dankbar, denn im Verband selbst wurden noch Ostgehälter gezahlt. Wir handelten hier nach dem Prinzip: Wenn ich mir die Leute aus dem Westen einkaufen müsste, wären sie noch teurer als meine eigenen Leute mit einer entsprechenden Ausbildung in der Tasche.

Ich selbst bildete mit Beginn meiner Tätigkeit zwei Jahre lang fast Ort für Ort Innenrevisoren und Hauptbuchhalter in unseren Sparkassen aus. Egal, wo ich später hinkam, begrüßten mich immer auch Mitarbeiter, die bei mir vor Jahren den Fachlehrgang gemacht hatten. Sie bekommen auch etwas zurück, Sie stecken nicht nur rein. Das war schon sehr schön. – Zu Herzen gehende Sätze bekam ich zu hören: In Schwerin tagten wir einmal im Haus des Handwerks, als eine Hauptbuchhalterin – lange, lange pensioniert – zu mir sagte: „Wissen Sie, Herr Holtmann, das ist ja alles ganz merkwürdig. Wenn ich so bilanziert hätte, wie Sie mir das jetzt hier für das Geschäft 1990 sagen, da wäre ich 1989 noch für ins Gefängnis gekommen.“ – Für mich war das so eine Erkenntnis: Sie haben es mit einer zentral geleiteten Planwirtschaft zu tun, die ganz anderen Prinzipien folgt, als ein nach den Prinzipien des Kapitalismus gesteuertes System. Eindrucksvoll, ja, Sie waren 1990 mittendrin in einer Veränderung.

Welche Erinnerungen haben Sie an Ihr Ankommen im Osten?

Ich bin am 1.11.1990 hier angekommen, nachdem ich dreizehn Stunden auf der Autobahn zwischen Hannover und Berlin zugebracht hatte. Es war sozusagen ein Stau, der in Hannover anfing und in Berlin aufhörte. Ich kam im Hotel, ein Hochhausgebäude auf dem Alexanderplatz, an und residierte dort im 27. Stock.

Als ich in der Prüfungsstelle in der Otto-Braun-Straße eintraf, richtete man gerade mein Büro ein. Meine Sekretärin war damals auch schon dabei. Wir hatten immerhin drei Telefonanschlüsse. Aber nur für eine Woche. Danach führte der Verband eine zentrale Getränkeverteilung durch und der Status der Prüfungsstelle stellte sich so heraus, dass sie ihren Telefonanschluss verlor. – Allerdings nur für 1 ½ Stunden. Dann ist sozusagen der Blitz dort hineingefahren und dann hatten wir ihn wieder. Nun, das war so die Anfangsphase. –  Eine große deutsche Firma riss die Telefonleitungen später ganz heraus. Weil die das wohl für Quatsch hielt. Das heißt, dann hatten wir gar keine Anschlüsse mehr. Also alles, was man sich so vorstellt, wie der kleine Fritz sich die Deutsche Einheit vorstellt. Bis hin zu der Tatsache, dass wir mit unseren Fragen zum Telefonieren nach Westberlin fahren mussten. – Dann fanden wir jemanden, der eine Standleitung kannte, die zum Bahnhof Alexanderplatz ging und sich dort an das Westnetz anschließen ließ. Mit der Vorwahl 9 konnten wir uns dann sofort vom Büro aus einwählen. Das war eine Leitung, die 1961 gekappt worden war. Ich war überrascht, dass es tatsächlich noch jemanden gab, der davon wusste. Der sagte dann allerdings zu uns: „Ich habe die Leitung für euch, aber ihr müsst mich als Hausmeister einstellen.“ Wir antworteten: „So lange die Leitung hier ist, biste Hausmeister …“ – Also, das ist aber wirklich die Anfangsphase gewesen. Da könnte man viele schöne Geschichten erzählen.

Ja, für einen Wessi war ja vieles neu, nicht. Und ich sag mal, ich bin hierhergekommen, wirklich mit der Vorstellung: Das ist jetzt mein neuer Arbeitsplatz. Vom ersten Tag an habe ich mich über nichts beklagen können. Ich bin von vornherein exzellent behandelt worden, hatte immer den besten Schreibtisch, ein ordentliches und schönes Büro, hatte eine gute Sekretärin, einen ausgezeichneten Fahrer.

Wäre Pendeln für Sie in Frage gekommen? Bleibt man als Führungskraft eigentlich glaubwürdig, wenn man den Wohnsitz im Westen behält?

Das können Sie nicht. Ich habe am 1. November 1990 im Verband angefangen und war ab 1. Januar 1991 in Hohenschönhausen. Allerdings in einer privilegierten Wohnung, weil ich als Einzelperson damals fast 100 Quadratmeter hatte. Die Wohnung war übrigens sehr schön; meine Nachbarn hochinteressant. Es war aber tatsächlich so, dass die Möbelpacker, die mich aus Hannover begleiteten, gefragt haben: „Was haben Sie denn bei Ihrem Verband angestellt, dass man Sie hierher verbannt hat?“ Dazu muss man wissen: Ich wohnte im niedersächsischen Gehrden in einer Eigentumswohnung am Hang mit einem schönen großen Fenster. Doch ich will das Jahr in Hohenschönhausen nicht missen. – Um es kurz zu machen: Ich bin der Auffassung, wenn ich mein Geld hier verdiene, dann gehöre ich hierher. Das heißt also auch, von dem Tag an, an dem die Tinte unter dem Dienstvertrag trocken war, war mir klar, dass dies mein Verband ist. Sie können meines Erachtens so eine Arbeit auch nur leisten, wenn sie wirklich mit Haut und Haaren dabei sind. Sonst geht das eigentlich nicht. – Das soll jetzt aber bitte nicht diejenigen herabsetzen, die es vielleicht anders gemacht haben. Denn ich hatte zu dem Zeitpunkt keine Familie, da war ich etwas freier. Aber anders hätte ich es mir nicht vorstellen können. Das muss ich ganz offen sagen, ja. Es war auch rein physisch gar nicht zu schaffen. Sie dürfen nicht übersehen, ich musste jetzt erst einmal die vielen Menschen kennenlernen. Wir hatten damals 196 Sparkassen. Das war ein nicht ganz einfaches System.

Was war Ihnen als Leiter der Prüfungsstelle besonders wichtig?

Ich war beispielsweise immer dafür, dass wir Menschen von hier ausbilden. Ja, meine Prüfer kamen nicht aus dem Westen. Ich stellte Leute aus dem Osten ein. Das war natürlich für mich ganz schwer zu lernen: Welche Ausbildungseinrichtungen der DDR lieferten welche Professionalität. Dass ein Staat wie die DDR darauf achten musste, dass, sagen wir mal, eine gewisse ideologische Bestrahlung der Studenten stattfand, das war für mich selbstverständlich. Genauso wenig, wie ich als topüberzeugter Kommunist in Westdeutschland irgendwo hätte Oberbürgermeister werden können, hätte ich das auch hier im umgekehrten Fall nicht hingekriegt. Aber die Frage lautete, wie geht man damit um, nicht.

Da gab es einen klugen Satz von Hans-Georg Günther, dem Vizepräsidenten: „Du musst Dir das genau anschauen, denn es gibt Verschlimmerer und Verbesserer.“ Also: Was passiert eigentlich, wenn man einem Menschen Macht gibt? Stecken hinter der „ideologischen Schlagsahne“ Fachleute, oder nicht? Da sind Menschen, die eine supergute Facharbeit gemacht haben und gleichzeitig findet ein Systemwechsel statt. Natürlich müssen Sie sich dann auf der Prüferseite mit dem „Cui bono?“ auseinandersetzen. Denn plötzlich fangen Leute an, andere zu diskreditieren.

Ich hatte mal so einen Fall, dass bei einem sehr verdienten, von mir hoch geschätzten Mitarbeiter irgendjemand kam und mir dessen Hochschulschrift zeigte. Im Glauben, er könne mich dadurch gegen den anderen einnehmen. Denn auf den ersten zehn Seiten wurde der Sozialismus hochgejubelt. Also damals war ich glücklicherweise schon so weit, dass ich wusste, was hier so Standard war und was nicht. Ich las dann die Schrift, die von linearen Gleichungssystemen handelte. Ein sehr schwieriger Komplex der wirtschaftlichen Optimierung. Das fand ich hochinteressant. Also habe ich zu demjenigen hinterher gesagt: „Ich finde es klasse, dass sie mir die Schrift gegeben haben. Ich schätzte den Kollegen zwar schon immer sehr, aber dass der so etwas Gutes kann, habe ich nicht gewusst.“

Verstehe, Sie haben sich über so etwas geärgert. Gab es 1990 noch weitere Dinge, die Sie aufgebracht haben?

Das sind die Systeme. Wissen Sie, es ging ja bis dahin, dass die Wohnungen der DDR schlecht gemacht wurden. Jeder meckerte über die Plattenbauten. Ich habe über zehn Jahre in der Platte gewohnt, erst in Hohenschönhausen, danach in Mitte in einer ehemaligen Regierungsplatte. Das waren dumme Leute, die nicht verstanden haben, dass sie volkswirtschaftliches Vermögen der DDR, das die Menschen ja aufgebaut hatten, im Prinzip kleinreden, ja, dass wir es nur noch abreißen könnten. Anstatt sich einmal Gedanken zu machen, wie man aus diesen städtebaulichen Gegebenheiten etwas kreiert, das noch 15 oder 20 Jahre hält. Es hat mich in der Wendezeit sehr geärgert, wie die Dinge dann kleingeredet wurden von Leuten, die es eigentlich auch nicht verstehen konnten.

Dann die Treuhandanstalt. Wenn Sie damit zu tun hatten und sahen, in welchem Umfang krasser Egoismus und Dilettantismus nebeneinander standen. Das waren Jahre, wo man eben lernen konnte, dass die Wirtschaftssysteme überhaupt nicht kompatibel sind. Mich erinnerte dies alles an meine Studentenzeit. Da hatten wir einmal Kommilitonen aus Brasilien eingeladen und die haben uns dann abends erzählt: „Also eure Sicht auf die deutsche Wirtschaft, die könnt ihr aber vergessen. Wenn eine große deutsche Firma bei uns in den Krankenhäusern zum Beispiel Geräte verkauft, sind die erstens veraltet und zweitens überteuert. Denn die zahlen immer hohe Schmiergelder.“

Als ich dann 1990 in unseren Verband kam, war es fast genauso. Die ersten Schränke wurden beispielsweise überteuert eingekauft. Den Vertreter habe ich dann zu mir gebeten und verdeutlicht: „In Hannover habe ich dieselben Schränke mit 40 Prozent Rabatt bekommen. Ich gehe damit an die Öffentlichkeit, dann verkaufen Sie hier nicht einen einzigen Schrank mehr. Wenn Sie nicht Ihre Angebote in ordentliche Verhältnisse setzen.“ Das bekommen Sie natürlich nur hin, wenn die Erfahrungen vorhanden sind. Rainer Voigt war natürlich sehr erstaunt, als er dann fast den halben Kaufpreis wieder erstattet bekam. Das heißt also: Da wird von Hilfe gesprochen, aber eigentlich geht’s ums Verdienen.

Das waren alles Erlebnisse, die sich dann gegeben haben. Wir veranstalteten Vorstandslehrgänge und andere Dinge, um die Zeit des Umbruchs und der Veränderung zu meistern. Alle Seiten waren dabei betroffen. Wenn Sie als Westdeutscher im Osten bleiben wollten, mussten Sie ganz deutlich wissen und verstehen, wie die Menschen hier ticken. Sie dürfen nicht vergessen, die Menschen hatten ja alle ihre eigene Jugend, ihre eigene Erinnerung. Es wird ja keiner seine eigene Erinnerung einfach so in den Dreck werfen, nicht wahr. Die haben hier studiert, sind zur Schule gegangen, haben ihr Leben gelebt, Kinder gekriegt und so weiter. So musste man im Blick behalten: Man kommt dazu und kann jetzt seinen Beitrag leisten. Eigentlich war es genauso, als wenn Sie als Rheinländer nach Bayern ziehen. Da müssen Sie auch erst einmal gucken und sich Grundelemente des bayerischen Denkens aneignen.

Rainer Voigt bezeichnete Sie als „Mann der ersten Stunde“, der den fachlichen Teil aufbauen half. Sie kamen aus Niedersachsen. Haben Sie die Prüfungsstelle nach diesem Vorbild aufgebaut? Was war das Wichtigste für Sie?

Also das Wichtigste war aus meiner Sicht, dass wir immer wieder Schwerpunkte gesucht haben, in denen die Kollegen sich behaupten konnten. Der Abteilungsleiter Markt ist dafür ein sehr gutes Beispiel. Er hat angefangen als „Zahlungsverkehrsmensch“. Das war unser größtes Problem, den Zahlungsverkehr hier vernünftig zu organisieren. In den ersten Jahren hatte er wirklich ganz erheblichen Anteil daran, dass das funktionierte. Danach kamen weitere Projekte, die Zukunft hatten. Zu meiner Zeit als Verbandsgeschäftsführer bauten wir zum Beispiel gemeinsam die Internetfiliale auf. Er natürlich immer vorne weg. Das deutschlandweit eingesetzte System des Finanzkonzeptes stammte auch aus unserem Verband, aus demselben Bereich.

Das bedeutet, für mich war es eigentlich immer wichtig, egal ob ich als Prüfungsstellenleiter oder als Verbandsgeschäftsführer hier gearbeitet habe, sicherzustellen, dass die Beschäftigten des Verbandes sich identifizieren können mit ihren Aufgaben. Wo sie auch sagen konnten: „Da habe ich meinen Anteil dran.“

Ich bin zum Beispiel kein guter Teamplayer. Das sage ich ganz deutlich. Aber ich weiß, dass ich Mitarbeiter brauche, die so gut sein müssen, wie’s gerade eben geht. Ich bin der Meinung, dass Sie nicht dauernd Menschen einstellen können, die dümmer sind als Sie selbst. Denn dann werden Sie eines Tages ein richtig dummes Haus haben. Die Führungskräfte sollten im Idealfall über eine Qualifikation verfügen, die sie befähigt, auch als Geschäftsführer arbeiten zu können. Toppositionen sind in einem Verband begrenzt. Aber man muss zusehen, dass in allen Positionen Leute sind, die gut und eigenständig arbeiten. Das hat sich hier im Verband auch bewährt. Denn in Zeiten der Abwesenheit, konnten die Aufgaben auf diese Weise verteilt und gut erledigt werden. Die Stärke unseres Verbandes ist, dass wir unsere Position haben und uns auch nicht zu häufig umorganisierten.

Trotzdem gibt es Veränderungen. Das ist ein natürlicher Vorgang. Da kann man sich jetzt nicht hinstellen und sagen: „Alles wird zementiert.“ Man muss eben verstehen: Sie können nie kopieren. Wenn Sie das tun, werden Sie maximal so gut sein, wie das, was Sie kopieren. Es muss in der Führung auch eine eigenständige Ausrichtung geben. Das Ergebnis mag dann besser oder schlechter sein. Das spielt aber keine Rolle. Das ist dann die Handschrift desjenigen, der vorne steht.

———————————-

*Claus Friedrich Holtmann (1949-2013), Lebenslauf, siehe Teil 1 vom 01.11.2020, FN 1

**Quelle: Bestand: Historisches Archiv des OSV, Zeitzeugeninterview mit Claus Friedrich Holtmann am 10. Januar 2013.

  • 30 Jahre Währungsunion - Zeitzeugengespräch mit Ralf Braun, Vorstandsmitglied der Sparkasse Spree-Neiße : © OSV

  • Eine der größten Herausforderungen war, die Warteschlangen zu bewältigen. Also die Währungsumstellung, die organisiert war, auch zu realisieren. Schon morgens gab es teilweise Menschenschlangen von 200 bis 300 Metern – für mich war das unfassbar, erinnert sich Ralf Braun an den Sommer der Währungsumstellung 1990. : © Sparkasse Spree-Neiße

Gekommen, um zu bleiben – Erinnerungen an 1990

Dass sich dieses Land wiedervereinigt
und zwei unterschiedliche Währungssysteme aufeinandertreffen,
das war für mich faszinierend.
Ralf Braun, Vorstandsmitglied der Sparkasse Spree-Neiße

Blogserie, Teil 39

Mit 23 Jahren machte sich Ralf Braun auf den Weg in die DDR. Zum ersten Mal in seinem Leben.  Ziel war die Stadt- und Kreissparkasse Cottbus. Dort wartete man schon auf den jungen Bankkaufmann aus Aachen und freute sich auf seine tatkräftige Unterstützung. Wie Ralf Braun sein Ankommen zwei Tage vor der Währungsumstellung erlebte und welche anschließenden Herausforderungen er für die Sparkasse sah, erzählte er uns in einem Zeitzeugengespräch.*

Herr Braun, wie sind Sie auf die Idee gekommen, in den Osten zu gehen?

Vorweg sei gesagt: Ich lege großen Wert darauf, dass ich keiner von den vielen Glücksrittern bin, die mit einem anderen Grad an Motivation und Hintergrund in die DDR kamen, als ich das jetzt von mir behaupten möchte.

Am 29. Juni 1990 bin ich nach Cottbus gekommen. Durch Seminare des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes. sind wir mit der besonderen Situation im Osten vertraut gemacht worden.** Ich persönlich hatte zum damaligen Zeitpunkt keinerlei Karriereabsichten. Vielmehr war es so, dass es für mich als Mensch, der sozialisiert wurde im kalten Krieg, der mit einem eisernen Vorhang aufgewachsen ist – also in einer vollkommen anderen Welt lebte – ein phänomenales Ereignis war. Dass sich dieses Land wiedervereinigt und zwei unterschiedliche Währungen aufeinandertreffen – konvertierbare und nicht konvertierbare –, das war für mich faszinierend.

Wie sah Ihre Unterstützung zur Währungsunion konkret aus? Vom „Schlange stehen“ einmal abgesehen, hat man als Kunde nicht viel davon mitbekommen, was in den Sparkassen tatsächlich an Arbeit alles angefallen ist.

Ich muss ja eines sagen: Die Mitarbeiter hier habe ich als äußerst engagiert, offen, dynamisch und wissbegierig kennengelernt. Die Währungsumstellung war bereits perfekt vorbereitet. Ich kam hier zwei Tage vorher an, das heißt, ich kam am „heißesten Punkt“ mit dazu. Jeder Westdeutsche, der behauptet, er hätte die Währungsumstellung gemacht, der sagt nicht die Wahrheit. Denn die Vorbereitung geschah schon Monate vorher. Zwei Tage vorher konnte man vielleicht noch ein paar kleinere Anregungen geben, was den Auszahlungs- und Umstellungsprozess anbelangt. Aber die Währungsumstellungsanträge der Bürger waren längst gestellt und wurden ab dem 1.7. umgesetzt.

Die Aufgabe nach dem 1. Juli war vielmehr, das wurde mir sehr schnell bewusst, die Währungsumstellung so schnell wie möglich abzuwickeln. Die Politik hatte der Sparkassenorganisation, und insbesondere den Sparkassen der DDR, quasi das gesamte Projekt übergeholfen. In diesem Punkt werde ich auch nicht müde, diesen Fakt immer wieder zu betonen. Die Wettbewerber stellten ihre frisch angemalten Container hin und hatten Null Aufwand mit den Umstellungsarbeiten. Sie öffneten mit Satellitenschüsseln auf ihren Containern und taten so, als ob es eine Filiale in München, Hamburg oder sonst wo wäre. Dann fischten sie sich gleich aus den Warteschlangen die Sparkassenkunden, um mit ihnen Bankgeschäfte abzuschließen.

Und wir? Etwa ein halbes bis zu einem Jahr hatte jede Sparkasse zu tun, die Folgewirkungen der Währungsumstellung zu bewältigen. Das war eine gigantische Aufgabe. Ich kann mich noch sehr gut an eine Geschichte erinnern, zu der sich ein Bild tief in mir eingeprägt hat: Als mich der damalige Sparkassendirektor in der alten Hauptstelle empfing und die Seitentür öffnete, lagen bis unter die Decke gestapelt auf den vielen Stufen der großen Treppenanlage die Umstellungsanträge. Wenn die Tür aufging, flogen sie auch teilweise herum. Für einen Banker, der mit Diskretion, Seriosität und Zahlenaffinität quasi „auf die Welt gekommen ist“, war das natürlich ein Kulturschock – einer der wenigen übrigens. Trotzdem ist alles gut gegangen. Kein Antrag ging damals verloren.

Was betrachten Sie rückblickend als größte Herausforderung?

Eine der größten Herausforderungen war, die Warteschlangen zu bewältigen, also die Währungsumstellung, die organisiert war, auch zu realisieren. Schon morgens gab es teilweise Menschenschlangen von 200 bis 300 Metern – für mich unfassbar. So etwas hatte ich vorher in meinem Leben noch nie gesehen. Die Leute waren anfangs durchaus geduldig. Doch nach zwei bis drei Wochen, als sie ihre Erfahrungen in der neuen Welt gesammelt hatten, änderte sich das. Die Bereitschaft, sich stundenlang anzustellen, nahm von Tag zu Tag immer mehr ab. Da gab es auch unschöne Szenen.

So ist zum Beispiel in einer völlig überfüllten Halle einmal jemand umgekippt. Ich saß gerade beim Direktor im Büro. Eine Kollegin kam und rief: „Herr Braun, Herr Braun, rufen Sie schnell die SMH!“  Ich wusste nicht, was sie von mir wollte und entgegnete: „Bitte sagen Sie mir, was die SMH ist.“ Sie antwortete: „Na die Schnelle Medizinische Hilfe.“ Ich entgegnete: „Sie meinen also einen Rettungswagen?“ – Als das dann geklärt war, habe ich natürlich sofort angerufen.

Solche Themen hatte man in der Folgezeit laufend. Ich verbrachte dann auch mal mehrere Tage bei den Wartenden vor der alten Hauptgeschäftsstelle. Gemeinsam mit einer Kollegin versuchte ich, die Menschen zu beruhigen. In glühender Hitze verteilten wir auch Getränke.

Wie müssen wir uns das vorstellen, nahmen die Menschenschlangen denn nicht ab?

Nein, für ca. 14 Tage nicht. Vielleicht nahmen sie mal 20 oder 30 Meter ab. Aber ansonsten jeden Morgen dasselbe Bild. Erst als die Bargeldlogistik durch war, beruhigte sich die Situation.

Apropos Bargeld: Gab es eigentlich Schwierigkeiten, die neue D-Mark in die ländlichen Sparkassenfilialen zu transportieren?

Wir sind da sehr pragmatisch vorgegangen. Logistische Themen gab es natürlich immer. Dann haben wir Wartburg, Trabi oder Lada genommen und sind losgefahren, um das Geld zu verteilen. Das war für mich auch das Reizvolle an der Aufgabe. Es gab Dinge, die untypisch waren. Aber sie mussten gelöst werden. Ich bin natürlich ebenfalls losgefahren und habe Geld verteilt – ohne Bewachung, ohne alles.

Damals hatte ich einen MINI Cooper und viele sagten: „Mensch, Ihr Auto ist ja noch kleiner als unser Trabi!“ – Leider waren die Autobahnen so schlecht, dass das nicht lange gut ging. Nachdem ich also mit dem MINI Cooper das Bargeld in der Gegend umhergefahren habe, war irgendwann die Platte vollkommen verschoben. Außerdem setzte ich immer auf, weil der Wagen so flach auflag.

Wie ging es nach dem 1.7. dann weiter?

Die Fragen in der zweiten Phase nach der Währungsumstellung lauteten: Wie stellen wir die Sparkassen auf einen marktwirtschaftlichen Kurs um? Wie sorgen wir dafür, dass der Privatkunde mit Beratungsbedarf, der keine Zeit und Lust hat, sich lange anzustellen, auch gut bedient wird? Wie bauen wir die Kundenberatung auf und welche Produkte bieten wir an? Wie sorgen wir dafür, dass die Einlagen möglichst in der Sparkasse bleiben?

Das waren unsere vordringlichsten Aufgaben, unmittelbar nach Einführung der D-Mark in der DDR. Alle Fragestellungen gingen fließend ineinander über. Daher bauten wir zuerst eine Kundenberatung auf. Für zwei Wochen betätigte ich mich mal eben schnell als Berater. Für die Kunden aus dem Spreewald, die stark einlagenlastig waren und daher unsere Passivseite der Bilanz abbildeten, machten wir einen Sonderschalter auf. So versuchten wir, diese Einlagen bei uns zu halten.

Offensichtlich war außerdem: Es gibt einen Mangel an Raum. Um Diskretion und vertrauliche Beratungsgespräche zu ermöglichen, fehlten Flächen. Den Bedarf, der damals gedeckt werden musste, empfinden Kunden heute als Standard. Wir hatten ca. sieben bis acht Filialen und sind dann schnell auf 23 gegangen, was sehr gut war und gebraucht wurde.

Die Kundenberatung war ja auch mit neuen Produktangeboten in der DDR verbunden. Wie haben die Kunden diese angenommen? Musste der Bedarf erst geweckt werden?

Ja, die Neugier war da; auch der Wissensdrang war groß. Aber es gab keine Selbstläufer. Mit Ausnahme von KNAX vielleicht. Damit sind wir 1990 gestartet im Tierpark Cottbus. An dem Tag gab es einen echten Besucherrekord. Innerhalb von einer Woche hatten wir 10.000 Kinder als Mitglieder. Damit war unser KNAX-Club einer der größten in Deutschland. Diesen Erfolg hat mir auf Sparkassen-Tagungen kein Mensch geglaubt. Aber eine KNAX-Mitgliedschaft hat eben auch eine große emotionale Komponente für die Kinder. Und für unsere Sparkasse war das der Startpunkt für unser sehr solides Fundament im Jugendmarkt. Bis heute ist der KNAX-Club die beste Basis für eine langjährige, vertrauensvolle Kundenbeziehung.

Bei allen anderen Produkten war das nicht so. Denn bei Bankdienstleistungen – egal ob Ost oder West – ist keine Emotionalität vorhanden. Das ist typisch für unser Geschäft. Es ist eben kein Auto. Es geht höchstens um Absicherung von Risiken, um die Altersvorsorge und so fort.

Wo Emotionalität tatsächlich spürbar wurde, das war beim Wohnungsbaukreditgeschäft und beim Unternehmertum. Beides hat sich explosionsartig entwickelt und die Umsetzung war zu diesem Zeitpunkt sehr anspruchsvoll. So gab es zum Beispiel bei den Kunden, die sich selbständig machen wollten, keine Erfahrungswerte zu ihren unternehmerischen Qualifikationen. Auch war ihr Eigenkapital gleich Null. Es musste also eingeschätzt werden: Ist der Mensch dir gegenüber ein Unternehmertyp? „Ja“ oder eher „Nein“? Für uns ist das ein Risikogeschäft gewesen.

Beim Wohnungsbaukreditgeschäft stand der Wunsch nach einem eigenen Haus, nach Umbauten und Sanierungen im Vordergrund. Diese Geschäfte haben sehr viel Spaß gemacht. Denn die Kunden waren froh, Kredite zu bekommen.

Herr Braun, haben Sie zum Schluss noch eine Anekdote für uns aus der Anfangsphase?

Da gibt es viele Geschichten. Aber ich erinnere mich noch sehr gut an folgende: Etwa 14 Tage nach der Währungsumstellung haben wir an einem Wochenende entschieden, dass wir uns die nicht besonders kundenfreundlichen Schalteraufsätze vornehmen und die gesamte Aufbaustruktur ändern. Erdacht, getan. Mit allen Männern, die in der Sparkasse vorhanden waren, schraubten wir die Aufsätze der Schalter 1-25 ab. Anschließend gestalteten wir Bereiche für Firmenkunden und für Privatkunden, wobei wir letztere nach Buchstaben gruppierten.

Als die Angestellten dann am Montag kamen, wurden sie erst eine halbe Stunde vor der Öffnung eingeweiht. Das war für einige ein Schock: Plötzlich war ihr Schutzschalter weg und sie waren nun von Kopf bis Fuß zu sehen. Die Face-to-Face-Situation war anfangs für einige nur sehr schwer umzusetzen. Uns ist sogar jemand umgekippt wegen der Neuerung. Aber: Innerhalb von nur zwei Wochen hat sich schlagartig der gesamte Kleidungsstil verändert. Niemand wollte etwa mit Schürze oder dergleichen dort sitzen. Das zeigt, wie schnelllebig diese Zeit war. Manchmal mussten über Nacht Lösungen gefunden werden. Gewaltige Veränderungen waren das damals.

Fortsetzung am 02.07.2020

————————–

*Ralf Braun ist seit Januar 2004 Mitglied des Vorstandes der Sparkasse Spree-Neiße und seit nunmehr 30 Jahren im Osten der Republik zu Hause. Nach Lehre und Grundwehrdienst kam er 1990 im Rahmen des „regionalen Partnerschaftsprogramms“ der westdeutschen Sparkassenorganisation nach Cottbus. Die Sparkasse hatte großen Bedarf. Denn der Bezirk war noch „unterversorgt“, was die personelle Hilfe anbelangte, so die Feststellung auf dem Koordinatorentreffen Mitte Mai 1990.

Nachdem die Präsidenten der Regionalverbände Ende Mai und die anschließende außerordentliche Mitgliederversammlung am 18. Juni der zweiten Phase der personellen Hilfe zugestimmt hatten, die über die Währungsunion hinaus eine längerfristige Entsendung von rund 600 Fachkräften westdeutscher Sparkassen ab Juli 1990 sowie die Kostenübernahme vorsah, stand der kontinuierlichen Aufbauunterstützung in Ostdeutschland nichts mehr entgegen.

Auch Ralf Braun blieb nach der Währungsumstellung. In der ersten Zeit arbeitete er als persönlicher Referent des Vorstandes. Seine Aufgabenschwerpunkte waren vielfältig und betrafen neben der Aufbauorganisation der Sparkasse, auch Aus- und Fortbildung, die Neueinführung der Passiv-Produktpalette sowie die gesamte Vertriebspolitik mit Geschäftsstellennetz. Unter seiner Leitung wurden viele wichtige Projekte ein Erfolg, wie die Fusion der Sparkassen Cottbus, Forst, Guben und Spremberg zur Sparkasse Spree-Neiße zum 01.01.1995 und die anschließende Gestaltung des Corporate Design für das neue Haus. Nach der Fusion übernahm er als Marktbereichsdirektor die größte Marktdirektion in Cottbus. Zahlreiche Weiterbildungen und Führungsaufgaben qualifizierten ihn schließlich für die verantwortungsvolle Aufgabe als Vorstandsmitglied für den Marktbereich seit dem 01.01.2004.

Quellen: Vermerk über die Zusammenarbeit mit den DDR-Sparkassen – Koordinatorentreffen am 15./16. Mai 1990 in Berlin, Bonn, 21. Mai 1990; ZZI Ralf Braun, 12.05.2011, Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-75/2004; Niederschrift über die Verbandsvorsteherkonferenz am 28./29. Mai 1990 in Berlin; Ergebnisniederschrift über die Außerordentliche Mitgliederversammlung des deutschen Sparkassen- und Giroverbandes am 18. Juni 1990 in Frankfurt/Main, Bestand: Sparkassenhistorisches Dokumentationszentrum Bonn.

**Seminare bereiteten die westdeutschen Sparkassenangestellten auf ihren Einsatz in der DDR vor. Der Dachverband gab „Informationen für die Sparkassenarbeit in der DDR“ heraus. Im Vorwort dankt er den freiwilligen Helfern und unterstreicht: „Die Umorientierung auf eine Marktwirtschaft ist eine ungewohnte und zugleich ungeheure Aufgabe für die Kolleginnen und Kollegen in der DDR. Die Unterstützung der westdeutschen Mitarbeiter ist deshalb wichtig, weil Erfahrungen im Umgang mit Wettbewerbern und mit ratsuchenden Kunden in der DDR bisher nicht gesammelt werden konnten. Auch die Erweiterung der Produktpalette, die betriebswirtschaftliche Steuerung der Häuser sind neue Aufgaben […] Wir bitten Sie, an diese neuen Aufgaben mit Einfühlungsvermögen und Verständnis für die andersartigen Bedingungen in der DDR heranzugehen.“ Quelle: Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-Günther 9/2004.

  • Sparkasse Aurich-Norden

    Haupteingang der Sparkasse Aurich-Norden : © Dennis Simon

  • Sparkasse Aurich-Norden

    Kassenhalle : © Dennis Simon

In Aurich ist es schaurig …

… sagt der Ostfriese. Bei dem Wetter in den vorangegangenen Wochen trifft es sogar zu. Noch vor einiger Zeit war ich im Rahmen meines Studiums als Praktikantin im Historischen Archiv des OSV tätig.  Nun stehe ich in der Kassenhalle meiner Heimatsparkasse im ostfriesischen Aurich und fühle mich bei diesem Anblick in meine Kindheit zurückversetzt. In wenigen Augenblicken treffe ich den Vorstandsvorsitzenden der Sparkasse Aurich-Norden, Carlo Grün, zu einem Interview. Hintergrund sind vorangegangene Recherchen zur Entstehung derselben.

Die Sparkasse wurde am ersten April 1840 in Norden als städtische Spar- und Leihkasse von Bürgern gegründet. Aus vier Vorgängerinstituten und weiteren Sparkassen, die sich im Laufe der Zeit gründeten und wieder schlossen, ging die gegenwärtige Sparkasse 2001 durch die Fusion der Kreissparkasse Aurich und der Kreis- und Stadtsparkasse Norden hervor. In diesem Jahr feiert die Sparkasse ihr 175-jähriges Jubiläum; das erste gemeinsame nach dem Zusammenschluss. Schon im Jahr 2013 wurde beschlossen, das bisher gesammelte Archivmaterial der Sparkasse zu sichten. Ein Artikel aus der Zeitschrift „Stern“ machte mich in diesem Zusammenhang auf einen Dachbodenfund aufmerksam. Es wurden mehrere Kisten mit Unterlagen aus der Zeit des Nationalsozialismus entdeckt. Zusammen mit dem Historiker Dr. Ingo Stader erarbeitete die Sparkasse eine Ausstellung und setzte sich so mit der eigenen Vergangenheit öffentlich auseinander.

Zwei Depotbücher, die den Kern der Ausstellung darstellen, dokumentieren buchhalterisch die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz jüdischer Kunden sowie den Verlust des Vermögens, der nahezu zeitgleich mit der physischen Vernichtung erfolgte. Die Ausstellung „Sparkasse im Nationalsozialismus – Der Versuch einer Rekonstruktion anhand eines Dachbodenfundes“ wird noch bis zum 31.10.2015 in der Sparkassenfiliale in Norden präsentiert.

Bei der Aufarbeitung jüdischer Kultur in Norden kooperiert die Sparkasse mit dem Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten der Körber-Stiftung. Diese rief im Jahr 2014/15 einen Wettbewerb mit dem Titel „Anders sein – Außenseiter in der Gesellschaft“ aus. Hierfür eingeladen wurden die zum Abitur führenden Schulen aus dem Geschäftsgebiet. Bei einem Workshop bekamen die Schüler die Gelegenheit, mit dem Archivmaterial aus dem Bestand der Sparkasse zu arbeiten, und erhielten so die Möglichkeit, ihre Regionalgeschichte hautnah zu erforschen und zu entdecken. Dieses Projekt liegt dem Vorstandsvorsitzenden Carlo Grün sehr am Herzen, nicht nur weil er selber historisch sehr interessiert ist, sondern auch um Sensibilität in Bezug auf die eigene Geschichte zu fördern und dieses Thema aufrechtzuerhalten. Die Sparkasse will damit einen gesellschaftspolitischen Beitrag leisten.

Gerade jetzt, da die Akzeptanz von Andersartigkeit und die Einordnung von Menschen in die Gesellschaft immer weiter in den Fokus der Öffentlichkeit rückt, ist die Thematik von Verfolgung und Ungewissheit aktueller denn je.

Sabrina Klaaßen, ehemalige Praktikantin im Historischen Archiv