• In unserer Wanderausstellung „Ein Buch weckt Erinnerungen“ finden sich viele persönliche Geschichten, wie die von Elsa (rechts im Bild) und ihrem Mann Fritz, der im Zweiten Weltkrieg sein Leben ließ. : © Historisches Archiv des OSV

„Wenn Du diese Zeilen in den Händen halten wirst, bist Du eine Soldatenfrau …“

Heute vor einem Jahr begann ein Krieg in Europa, der für viele fernab jeder Vorstellungskraft lag. Russlands Invasion in der Ukraine hat Dimensionen erreicht, die für lange Zeit tiefe Narben hinterlassen werden. Auf beiden Seiten sterben jeden Tag Menschen. Wie viele Zivilisten und Soldaten bisher ihr Leben ließen, weiß niemand so genau. Es liegen nur Schätzwerte vor. Doch betroffen sind inzwischen unzählige Familien. Was Krieg für jeden einzelnen tatsächlich bedeutet, wird uns erst bewusst, wenn Erlebtes wach gehalten und geteilt wird. Erst dann wird Abstraktes sehr konkret. Das Konkrete berührt und brennt sich tief in unser emotionales Gedächtnis ein. Im besten Falle mahnend und warnend. Das ist unsere große Hoffnung, wenn wir Zeitzeugenberichte für die Nachgeborenen bewahren. 

Von nie verheilten Wunden, die der Zweite Weltkrieg Menschen zufügte, berichteten uns Sparerinnen und Sparer noch Jahrzehnte später. Im Rahmen unserer Wanderausstellung „Ein Buch weckt Erinnerungen“ zeichneten wir viele dieser Familiengeschichten im Jahr 2013 auf, machten sie der Öffentlichkeit in Text und Bild zugänglich. Darunter auch die Geschichte von Elsa und Fritz. Durch Flucht und Vertreibung verloren beide nicht nur ihre Heimat, sondern auch sich selbst als glückliches Paar. Ihr kleiner Sohn Helmut wuchs ohne Vater auf. Fritz kam aus dem Krieg nicht zurück. Sein Grab ist unbekannt. Im März 1945 ahnte er sein unheilvolles Schicksal bereits. Er schrieb:

Meine liebe Elsa!
Wenn Du diese Zeilen in den Händen halten wirst, bist Du eine Soldatenfrau. Wie wir da unten ankamen und ich mich melden mußte, drückten sie mir gleich die Einberufung in die Hand, und auch noch ganz kurzfristig, nach langem Bitten, ließ man mir noch 3 Tage Zeit. Ich bin so bald wie möglich auf die Bahn und nach Wolfen, wo ich euch bestimmt anzutreffen glaubte. Entsetzlich die Enttäuschung. Meine liebe Elsa glaub aber nicht, daß ich Dir die Schuld gebe. Die Schuld liegt bei mir […] Wie lebt ihr denn dort und behandelt man Euch gut? Alles ist schrecklich wenn man darüber nachdenkt. Wie soll das mit der Ernährung und Feuerung werden? Überall so eine Not, die wir nun doppelt spüren, wo wir bisher davon verschont geblieben sind. Was werden die Klein-Priebuser machen? […] Ich hab Dich lieb gehabt und ich danke Dir für alles. Du hast bestimmt gehalten, was Du im kleinen Kirchlein von Podrosche versprochen hast und lass nun all Deine Liebe und Fürsorge unserem ganzen Glück, unserem lieben Jungen, unserem Helmut angedeihen. Wie oft habe ich mich auf der Straße umgedreht, wenn einer so schnattert, hell und freudig Vati rief, nicht daran denken!
Sollte es das Schicksal wollen, daß wir uns nicht mehr wiedersehen, so denk an mich, wo ich Euer Bestes gewollt habe. Nun drück ich noch mal Deine lieben Hände und küsse Deinen lieben Mund
Dein Fritz 

Ein Brief mit bestürzender Aktualität. Dass solche Zeilen nie mehr verfasst werden müssen, ja, für immer der Vergangenheit angehören und Völker im Sinne der Charta der Menschrechte in Frieden zusammenleben können, dafür lohnt es sich einzustehen und zu kämpfen. 

 

  • Altes Sparbuch, deformiert durch Flucht und Vertreibung während des Zweiten Weltkrieges; mit deutlichen Spuren der Vergangenheit - einem Fußabdruck, der mahnt, warnt, zum Nachdenken zwingt. : © Historisches Archiv des OSV

  • Im Rahmen der Ausstellung „Sparen – Geschichte einer deutschen Tugend“ im Jahr 2018 wurde das Sparbuch erstmals einem internationalen Publikum im Deutschen Historischen Museum in Berlin zugänglich gemacht. : © Historisches Archiv des OSV

  • Es gehörte der kleinen Charlotte. Sie wurde 1931 in Danzig geboren, ging in Danzig-Ohra zur Schule und führte ein ganz normales Leben, bis der Krieg ausbrach ... : © Historisches Archiv des OSV

Wenn das Leben aus den Fugen gerät

Krieg, Flucht, Vertreibung – diese Begriffe würde wohl jeder von uns gern aus seinem Wortschatz streichen. Wie fragil der Frieden sein kann und dass er nicht selbstverständlich ist, das erleben wir seit nunmehr zwei Monaten unmittelbar und bedrohlich nah.

Unsere Welt ist kein sicherer Ort. Mehr als 20 Kriege werden derzeit geführt. Das bedeutet auch Gewalt, Zerstörung, Not und Elend. Leidtragende sind stets unschuldige Zivilisten und unter ihnen vor allem die Kinder. Für sie und ihre Zukunft sind wir als Erwachsene im besonderen Maße verantwortlich. Nichts ist in diesem Zusammenhang zu entschuldigen, zu rechtfertigen oder gar mit irgendetwas zu erklären.

Was können wir, die wir täglich mit unserer Geschichte, mit Informationen und Archivalien umgehen, tun? Unsere Möglichkeiten sind begrenzt. Ja. Aber: Wir können sorgsam mit Sprache umgehen, uns stets mit der Darstellung von  Rechercheergebnissen der Wahrheit verpflichtet fühlen. Mit Publikationen, Ausstellungen, Schulungen, Filmen und vielem mehr tragen wir in der Öffentlichkeit dazu bei, dass auch die Schrecken von Kriegen in Erinnerung bleiben. Wir als Deutsche stehen noch immer in einer besonderen Verantwortung. Diese versuchen wir durch unsere Arbeit wahrzunehmen. Denn was zwei Weltkriege angerichtet haben, wie Menschen nicht nur gelitten, sondern millionenfach zu Tode gekommen sind, das darf weder in Vergessenheit geraten noch verharmlost werden.

So begreifen wir es als wichtige Aufgabe, auch Kriegserlebnisse zu bewahren. In Gesprächen mit älteren Zeitzeugen aus unseren Sparkassen kommt gerade dieses Thema immer wieder zur Sprache. Wir zeichnen persönliche Erinnerungen auf, sammeln Objekte, die für sich genommen, einzigartig sind und der Dokumentation dienen. Besonders berührende Zeitzeugnisse von Müttern und Kindern auf der Flucht konnten wir zum Beispiel für die Nachwelt sichern, als wir vor einigen Jahren eine Wanderausstellung rund um das Sparbuch – dem ersten Produkt der Sparkassen – konzipierten. Sehe ich heute Kriegsbilder, Kinder auf der Flucht, dann habe ich stets auch das Sparbuch der kleinen Charlotte vor Augen. Für mich das eindrucksvollste, mit vielen Emotionen verbundene Objekt in unserem Archiv.

Es erzählt davon, wie ein kleines Mädchen sich mit der Mutter während des Zweiten Weltkrieges auf den Weg gen Westen macht. Fort aus Danzig. Besonders tragisch: Schon im Kindesalter verliert Charlotte bei einer der vielen Luftschutzübungen durch eine Fehlzündung das rechte Augenlicht. Auch eine Operation kann ihr nicht helfen. So bekommt das Kind eine Entschädigung von 1000 Reichsmark, mündelsicher auf einem Sparkassenbuch von der Versicherung gutgeschrieben. Es soll ihre Zukunft sichern. Beim Packen der Sachen für die Flucht rettet die Mutter natürlich auch das Büchlein, versteckt es als Einlegesohle im Schuh. Beide überleben. Zum Glück. Doch durch Flucht und Vertreibung ist das Geld auf dem Sparbuch wertlos geworden. Es kommt auch später zu keiner Auszahlung oder Umwertung.

„Nie wieder Krieg!“ – ein schöner Gedanke, den wir nicht aufgeben dürfen. Privilegiert in den Frieden hineingeboren werden und in ihm leben? Das sollte im Sinne der bereits 1948 verfassten Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen zu den Menschenrechten eigentlich selbstverständlich sein. Dass wir inzwischen davon weiter entfernt sind, als für das 21. Jahrhundert erhofft, dass Kinder heutzutage – auch in Europa – wieder in derselben Situation sind, wie die kleine Charlotte damals, macht fassungslos und sehr nachdenklich. Gerade den Kindern sind wir alle eine friedliche, eine gewaltfreie Zukunft schuldig. Die Mächtigen dieser Welt müssen daran erinnert werden und entsprechend agieren: Deeskalieren, im respektvollen Gespräch bleiben, verhandeln und natürlich auch weiter abrüsten – gibt es tatsächlich eine andere Alternative, um gut mit- und nebeneinander leben zu können?