• Der Vergleich zwischen deutschen Bundesstaaten zeigt: In Sachsen waren viele Sparkassen größerer und mittlerer Städte finanzstark genug, um Darlehen an Kunden aus Industrie und Handel zu geben. So standen beispielsweise 1906 Hypothekendarlehen im Umfang von etwa 1,24 Millionen Mark auf insgesamt 101.672 Posten aus.* : © Akte 1879-1934, Historisches Archiv des OSV

Industriefinanzierungen mit Hypothekendarlehen

Wie die Sparkassen früher die Wirtschaft förderten

Sparkassen wurden gegründet, um Menschen aus eher ärmeren Verhältnissen eine sichere und verzinsliche Geldanlagemöglichkeit zu bieten und dadurch viele von ihnen überhaupt erst zum Sparen zu animieren. Diese Feststellung ist unumstritten. Doch was machten die deutschen Sparkassen im Zeitalter der Industrialisierung mit dem eingenommenen Geld?

Die Antwort fällt je nach betrachteter Region und Epoche etwas unterschiedlich aus. Teilweise wurden Staatsanleihen und Pfandbriefe gekauft. Häufig gab man das Geld auch zur Finanzierung kommunaler Aufgaben und Projekte an öffentliche Kassen ab oder seltener auch zur Refinanzierung von Pfandleihhäusern. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts war jedoch in praktisch allen deutschen Bundesstaaten die Vergabe von Hypothekendarlehen die dominierende Form der Kapitalanlage. Dies geht aus damals veröffentlichten Statistiken hervor.

Hypothekendarlehen werden üblicherweise als Mittel zur Wohnraumfinanzierung interpretiert. Denn wer heute seinen Traum vom Eigenheim verwirklicht, nutzt meist Darlehen mit hypothekarischer Besicherung beziehungsweise die moderne Variante einer Grundschuld auf die Immobilie. Es bestehen zwar vereinzelte Hinweise in der Literatur über den kommerziellen Einsatz von Hypothekendarlehen vor dem Ersten Weltkrieg, insbesondere von den Sparkassen in Düsseldorf und Saarbrücken. Doch diese Erkenntnis setzte sich in der Wissenschaft nicht durch. Dabei sah der Gesetzgeber nie Einschränkungen in der Verwendung vor.  Der Begriff Hypothekendarlehen beschreibt grundsätzlich nur die Form der Sicherheit, jedoch nicht die Nutzung.

Hieraus ergeben sich spannende Fragen: Wofür wurden die Darlehen damals wirklich verwendet und wer gehörte zu den Kreditkunden? Sie sind nicht nur aus dem Blickwinkel der Sparkassengeschichte interessant, sondern auch aus der Perspektive der allgemeinen Wirtschaftsgeschichte. In dem betrachteten Zeitraum entwickelte sich Deutschland nämlich zu einem modernen Industriestaat. Wer ein Unternehmen gründen wollte, brauchte meistens Kapital. Doch eine Finanzierung über Geschäftsbanken oder die Börse kam nur für die größeren Firmen infrage und vermutlich kaum für den gewerblichen Mittelstand. Schlossen Sparkassen diese Lücke?

Licht in dieses Dunkel zu bringen war das Ziel einer breit angelegten Untersuchung, die kürzlich in Buchform erschienen ist. Die Auswertung von mehr als 10.000 Darlehensfällen von elf Sparkassen aus dem ehemaligen Königreich Württemberg im Zeitraum 1846 bis 1913 brachte dabei Überraschendes zutage. Hypothekendarlehen dienten zwar durchaus zur Eigenheimfinanzierung. Doch dies betraf nur einen kleinen Teil des Kreditgeschäftes. Viel wichtiger war die Nutzung für landwirtschaftliche und gewerbliche Investitionen. Sogar kleine und mittelgroße Industriebetriebe von Eisengießereien über Werkzeugmaschinenhersteller und Möbelfabriken bis hin zu Brauereien nutzten Hypothekendarlehen.

Am häufigsten kamen größere gewerbliche Finanzierungen ab Mitte der 1890er Jahre vor, nachdem die Sparkassen über Jahrzehnte zu nicht unbedeutenden Geldhäusern herangewachsen waren. Die Möglichkeit zu umfassenden Darlehensvergaben hing nämlich in erster Linie von den Mittelrückflüssen aus dem bestehenden Kreditgeschäft ab, also den Zinszahlungen und Tilgungen. Auch der Zuwachs der Spareinlagen spielte eine Rolle. Für die Finanzierung von richtig großen Unternehmen war die Finanzkraft der untersuchten Sparkassen aber nicht ausreichend. Und manches kleine Institut vergab vor dem Ersten Weltkrieg überhaupt keine Darlehen an Firmen.

Doch allgemein dürften die Sparkassen für die mittelständische Wirtschaft, das Handwerk, den Einzelhandel und die Landwirtschaft schon damals wichtige Finanzierungspartner gewesen sein. Sie nutzten sogar Notenbankkredite zur Kapitalbeschaffung, um in Krisenzeiten einer Kreditklemme vorzubeugen.

Natürlich können die Erkenntnisse über das Kreditgeschäft im kleinen Württemberg nicht für ganz Deutschland verallgemeinert werden. Doch die Untersuchungen zeigen, wie durch eine strukturierte Herangehensweise die Kreditpolitik der Sparkassen sichtbar gemacht werden kann, und wie sich durch geeignete Vergleiche auch dort Erkenntnisse über das Darlehensgeschäft erzielen lassen, wo das Quellenmaterial in den Archiven an sich wenig aussagekräftig ist.

Für nähere Einsichten über andere Regionen sind weitere Forschungen erforderlich, zum Beispiel auch im Rahmen von Festschriften, Chroniken oder Fallstudien. Dem Kreditgeschäft der Sparkassen mehr Aufmerksamkeit zu schenken, lohnt sich in jedem Fall.

Thorsten Proettel

Autor des Buches: Die Stellung der Sparkassen im Markt für gewerbliche Finanzierungen. Untersuchungen über das Kreditgeschäft der Sparkassen während der Industrialisierung. Jan Thorbecke Verlag, 2020. 435 S.

*Angaben aus dem o. g. Werk, Kapitel 13: Die Sparkassen in den größeren deutschen Bundesstaaten, Königreich Sachsen, S. 354.

  • Durch die Beteiligung am ERP-Kreditprogramm fassten die DDR-Sparkassen im Bereich der Finanzierung mittelständischer Unternehmen Fuß. : © Historisches Archiv des OSV

  • Informationsblatt der KfW, welches auf die Antragstellung bei der Hausbank hinweist; Bestand: Historisches Archiv des OSV, HAP- E 821/2010

  • Entwurf für eine Checkliste zur ERP-Antragstellung bei den DDR-Sparkassen; Bestand: Historisches Archiv des OSV, HAP- E 722/2010 : © Historisches Archiv des OSV

Hilfskredite für kleine und mittlere Betriebe

Blogserie, Teil 24

Vor 30 Jahren versendete der Sparkassenverband der DDR sein erstes nummeriertes Rundschreiben. Es informierte unter anderem über die korrekte Abwicklung von ERP-Krediten. Dank der Hilfe des DSGV waren auch die ostdeutschen Sparkassen in dieses Kreditprogramm der Bundesrepublik Deutschland eingeschaltet worden.* Der Bund stellte damals aus einem Sondervermögen, von dem ein Teil noch aus Marshall-Plan-Hilfen der USA (European Recovery Program) stammte, sechs Milliarden DM bereit. Mit Darlehen sollten kleinere und mittlere Betriebe auch im Osten gefördert werden. Die Wettbewerbs- und Leistungsfähigkeit galt es zu steigern und so die wirtschaftlichen Verhältnisse in der DDR zu verbessern. Hauptleihinstitute waren die Kreditanstalt für Wiederaufbau, die Deutsche Ausgleichsbank und die Berliner Industriebank.

Diese drei Banken stellten langfristige Refinanzierungskredite zur Finanzierung von Investitionen für private Betriebe, Handwerker Gewerbetreibende, Einzelhändler und Gastwirte, freiberuflich und sonstig selbstständig Tätige zur Verfügung. Des Weiteren waren in selbstständiger unternehmerischer Verantwortung geführte, mehrheitlich in privatem Eigentum befindliche Gesellschaften und genossenschaftliche Betriebe einbezogen. LPGs sowie Fischerei- und Gärtnerei-Genossenschaften waren ausgeschlossen.** Die Kredite galten vorrangig zur Förderung von Existenzgründungen, dem Umweltschutz, Modernisierungen, Produktionssteigerungen, Betriebserweiterungen und für Maßnahmen des Tourismus. Die Zuständigkeiten waren verteilt. So war etwa die KfW für das Modernisierungsprogramm, die Ausgleichsbank für Existenzgründungen und die Industriebank für Tourismus zuständig.

Die ostdeutschen Unternehmer konnten Anträge beim örtlichen Kreditinstitut ihrer Wahl stellen, zum Beispiel bei einer der 196 Sparkassen. Diese prüfte unter anderem die Sicherstellung der Investition, die Bonität des Darlehnsnehmers, seine fachliche Qualifikation sowie die wesentlichen Unternehmenseckdaten. Bei positivem Bescheid prüfte auch das Hauptleihinstitut. Es folgte die Zusage für den Refinanzierungskredit, wobei die Sparkasse vor Ort die vertraglich festgelegte Verwendung zu garantieren hatte. Die Ausreichung erfolgte in Deutscher Mark. Für die Rückzahlung hatte die Staatsbank für 1990 eine Relation von 1 DM = 2,40 Mark festgelegt. Die erste Sparkasse im Osten, die einen ERP-Kredit weitergab, war übrigens die Kreissparkasse Klötze, heute Sparkasse Altmark-West. Eine Fahrschule in Klötze erhielt Geld, um einen Ford zu kaufen, den sie für den Ausbildungsbetrieb umbauen ließ.***

Eigentlich hatten die DDR-Sparkassen für die fristgemäße Verzinsung und Rückzahlung der Kredite zu haften. Um Vorbehalte der Hauptleihinstitute hinsichtlich ihrer Bonität auszuräumen und gegenüber den Genossenschaftskassen, für die die Deutsche Genossenschaftsbank eintrat, wettbewerbsfähig zu bleiben, wurde im März 1990 die Unterstützung durch die Deutsche Girozentrale-Deutsche Kommunalbank geplant. Die Initiative kam vom DSGV. Zwei Monate später konnte die DGZ in Zusammenarbeit mit der Hessischen Landesbank/ Landeskreditkasse Kassel die Rolle eines Leitinstituts und die Primärhaftung für die Institute übernehmen. Dafür wurde ein Viertel der Zinsmarge von 1 %, welche die Ost-Sparkassen für die Durchleitung der ERP-Darlehen bekamen, fällig.****

Für die ostdeutschen Sparkassen waren Unternehmenskredite ein fast gänzlich neues Geschäftsfeld. Es brauchte Know-how. Die Hauptleiher qualifizierten die Sparkassen. Dazu und zur kostenlosen Abgabe von Unterlagen zur Kreditbereitstellung und von Informationsmaterial (Abbildung 2) waren sie verpflichtet. Große Unterstützung leistete die westdeutsche Sparkassenorganisation. Qualifizierungsmaßnahmen für Multiplikatoren fanden statt. So wurden etwa am 21./22. Februar 1990 ausgewählte Sparkassen zu den Grundsätzen der Gewährung von ERP-Krediten unter anderem von Mitarbeitern des DSGV, den Kreissparkassen Köln und Bonn sowie der Sparkasse der Stadt Berlin West geschult.***** In diesen Tagen entwickelten die Leitung der Sparkassenabteilung der Staatsbank und der DSGV auch einen Prospekt für die Sparkassenkunden in der DDR. 130.000 der Faltblätter mit dem Titel „ERP-KREDITE FÖRDERN PRIVATE INITIATIVEN“ lieferte der Deutsche Sparkassenverlag dann mit Merkblättern, auf welchen der junge Sparkassenverband der DDR die Sparkassenbeschäftigten zum Einsatz informierte.******

Gesendet wurde nicht nur Werbematerial. Zahlreiche Kreditfachleute reisten in den Osten und wurden bei Patensparkassen helfend tätig. Eine Informationsschrift des DSGV briefte sie für den Einsatz und bat um Einfühlungsvermögen und Verständnis hinsichtlich der andersartigen Verhältnisse der ostdeutschen Sparkassenwelt. Der Sparkassenverband der DDR konstatierte am 23. März: „Mitarbeiter der Sparkassen der BRD und der Sparkasse Berlin (West) stehen in einigen Bezirken in jeder Sparkasse, in einer zentral gelegenen Sparkasse mit Verantwortung für mehrere Sparkassen bzw. in der Bezirksstelle zur Verfügung.“******* Die personelle Unterstützung lief zufriedenstellend an. Einen Schwerpunkt der Qualifizierung stellte die Rentabilitätsvorschau (Abbildung 3) dar. Die Unterstützungsaktion bei der Abwicklung des ERP-Programms war letztlich erfolgreich. Die Maßnahmen bewährten sich. Die von den Sparkassen weitergereichten Kreditanträge waren von guter Qualität, sodass Ablehnungen wohl nicht vorkamen. Bis Mitte Mai betrug der Anteil der Sparkassen an den ERP-Anträgen in der DDR 40 bis 45 %.********

Fortsetzung am 25.04.2020

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* Vgl. Günther, Hans-Georg/ Geiger, Walter: Neugestaltung des ostdeutschen Sparkassenwesens 1990 bis 1995, Stuttgart, 1998, S. 165.

** Vgl. Verfahrensgrundsätze für die Abwicklung der ERP-Programme, S. 2, 16.02.1990; Bestand: Historisches Archiv des OSV, HAP-E 813/2011

*** Vgl. undatierte Vorlage für eine Pressemeldung des Sparkassenverbandes der DDR; Bestand: Historisches Archiv des OSV, HAP-E 813/2011

**** Vgl. Deutsche Girozentrale-Deutsche Kommunalbank an den Vorstand der Stadt- und Kreissparkasse Brandenburg, betr. Darlehnsgewährung zur Finanzierung privater Investitionen in der DDR, 11.05.1990, S. 3; Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA 71-2004

***** Vgl. Deutscher Sparkassenverlag GmbH: Weiterentwicklung der Werbe- und Kommunikationsmaßnahmen für die DDR nach der Sitzung des AA/ZWA, 26.03.1990; Bestand: Historisches Archiv des OSV, HAP-E 617/2010

****** Vgl. Deutscher Sparkassen- und Giroverband: Informationen für die Sparkassenarbeit in der DDR, April 1990; Bestand: Historisches Achiv des OSV, HA Günther 9/2004

******* Vgl. Sparkassenverband der DDR: Stand der Kreditantragstellung im Rahmen der ERP-Finanzierung per 23.3.90; Bestand: Historisches Archiv des OSV, HAP-E 813/2011

******** Vgl. Ergebnisvermerk über den Erfahrungsaustausch der DDR-Koordinatoren der regionalen Sparkassen- und Giroverbände des DSGV und des Sparkassenverbandes der DDR am 15./16.05.1990, S. 1; Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-75/2004