Blogserie, Teil 47
Das partnerschaftliche Verhältnis, das es zwischen ost- und westdeutschen Sparkassen gab, existierte auch auf Verbandsebene. Was im Januar 1990 ohne Wissen der Staatsbank heimlich begann, hatte sich ein halbes Jahr später zu einem regelmäßigen, vertrauensvollen Austausch entwickelt. Zwischen dem 19. Juni und dem 21. August 1990 trafen sich die Leitungen des Sparkassenverbandes der DDR und des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV) insgesamt vier Mal zu Besprechungen in Berlin.*
Themen gab es viele. Sei es die Währungsumstellung mit all ihren Begleiterscheinungen, wie den technischen Erfassungsproblemen, den umfangreichen Nacharbeiten und den weiteren geschäftspolitischen Maßnahmen, die anstehende DM-Eröffnungsbilanz, die Ausbildung von Revisoren sowie die Vorbereitung von Seminaren für Führungskräfte und Verwaltungsräte, oder seien es die Kooperationsabkommen mit Verbundpartnern, wie den öffentlichen Versicherern und der Deutschen Girozentrale (DGZ), und die sich aus rechtlichen Rahmenbedingungen ergebenden Aufgabenstellungen, wie aus den Regelungen des Staatsvertrages über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion bezüglich der Wohnungsbaukredite oder aus dem sogenannten „Mißbrauch-Gesetz“ bezüglich der Feststellung rechtswidriger Handlungen im Zusammenhang mit der D-Mark-Einführung – all diese Dinge und weitere offene Fragen wurden gemeinsam beraten und gelöst.
Die Zusammenarbeit auf Verbandsebene wurde gestärkt durch die Veränderung der Rolle des Sparkassenverbandes der DDR. Kurz nach der Währungsunion stand die „Mitgliedschaft des DDR-Verbandes beim DSGV“ auf der Agenda. In einem ersten Schritt räumte der Dachverband dem Newcomer einen ständigen Gastsitz in allen richtungsweisenden Ausschüssen des DSGV ein.** Ziel war die ordentliche Mitgliedschaft, welche am 13. Dezember 1990 auf der Mitgliederversammlung des DSGV beschlossen wurde. Die Sparkassenzeitung berichtete bereits am 28. September über einen entsprechenden Antrag der Vorstände und Direktoren der ostdeutschen Sparkassen: „Damit werde […] der historischen Entwicklung Rechnung getragen und die in der Geschichte der deutschen Sparkassen bewährte Organisationsstruktur wiederhergestellt.“***
Mit der Mitgliedschaft war „automatisch eine Teilnahme […] am überregionalen Ausgleich verbunden“, also ein Anschluss der ostdeutschen Sparkassen an den Einlagensicherungsfonds der bundesdeutschen Sparkassen. Damit wurden Ende des Jahres schließlich die nachdrücklichen Forderungen der Deutschen Bundesbank und des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen erfüllt, die seit dem Sommer 1990 im Raum standen.****
Last but not least stand am 21. August 1990 ein Thema auf der Tagesordnung, das hohe Wellen in der Öffentlichkeit schlug: Kredite für den Wohnungsbau. Einerseits waren Mehrfamilienhäuser zu betrachten, wo der Staat durch Subventionen Mieterhöhungen vermeiden wollte, jedoch gleichzeitig eine Sanierung beauftragte, um den Verfall zu stoppen. Die Sparkassen hatten die Verpflichtung zur Finanzierung von angeordneten Baumaßnahmen, ohne dass vorher von staatlicher Seite ein Einverständnis der Eigentümer eingeholt worden wäre. Auf diese Weise entstanden Kreditforderungen, die von den Hausbesitzern nicht akzeptiert wurden. Dem Verband kam die Aufgabe zu, in Absprache mit den zuständigen Ministerien eine Lösung für seine Mitgliedssparkassen zu finden.
Andererseits stand die Finanzierung von Eigenheimen als Besprechungsthema an. Durch die Kündigung der Kredite und die marktgerechte Anhebung der Zinssätze waren Kunden so verärgert worden, dass sie Initiativen gründeten, um die Sparkassen zu verklagen. Zur Abwendung eines nachhaltigen Imageschadens für die DDR-Sparkassen und zur Lösung des Problems im Interesse der Kunden beschlossen DDR- und Dachverband ein umfassendes Maßnahmenpaket. So sollte der DSGV die Angelegenheit direkt mit dem Bundesfinanzministerium besprechen. Die Basisdaten für das Gespräch mit den zugrundeliegenden Verordnungen, Kreditvertragsvordrucken und den Statistiken der betroffenen Kredite würde der DDR-Verband liefern. Zusätzlich stellte sich Rainer Voigt als Präsident des Sparkassenverbandes der DDR zwei Tage nach der Besprechung mit dem Dachverband den Fragen der Presse. Dem Vorwurf des „unsozialen Handelns“ trotz rechtlicher Grundlage durch den Staatsvertrag vom 18. Mai 1990, Anlage III, Kapitel 1, Punkt 4, setzte er entgegen:
Die Sparkassen streben entschieden eine sozial verträgliche Lösung des Problems an. Die Frage ist, wer bezahlt künftig die bisher gewährten Kreditsubventionen? Die Sparkassen können keine Subventionspolitik des Staates betreiben. Manche Sparkasse würde das auch gar nicht überleben.
Er informierte darüber, dass Gespräche mit Bau- und Finanzministerium der DDR und der BRD, „aber auch über beide deutschen Sparkassenverbände“, noch laufen, um die Frage der Ausgestaltung des Staatsvertrages in diesem wichtigen Punkt für die Kunden, deren Eigenheimbau-Kreditbestand bei den Sparkassen insgesamt acht Milliarden Mark ausmachte, eindeutig und für alle Seiten zufriedenstellend zu klären. Ergebnisse, so hoffte Voigt, seien in etwa zwei bis drei Wochen zu erwarten.*****
Fortsetzung am 25.08.2020
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*Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-75/2004, Bd. 1.
**Das betraf die Ausschüsse: Geschäftsführerkonferenz, AK Leiter der Sparkassenakademien, Prüfungsstellenleiter, Zentraler Werbeausschuss (ZWA), Mitgliederversammlung sowie, „sofern DDR-Themen behandelt“ wurden, Vorstand und Sparkassenausschuss. Vgl. Vermerk zur 2. Besprechung mit der Verbandsleitung des DDR-Sparkassenverbandes am 4. Juli 1990 in Berlin, Top 4, Bonn, 11.7.1990. Bestand: ebd.
***Der Beschluss zum Antrag auf die ordentliche Mitgliedschaft beim DSGV erfolgte am 14. September 1990 durch den Vorläufigen Verbandsrat. Der außerordentliche Verbandstag am 20. September 1990 stimmte dem zu und beauftragte den Präsidenten des DDR-Verbandes mit der Umsetzung. Die Sparkassenzeitung berichtete am 28. September 1990 umfassend auf den Seiten 1 und 2 im Artikel „Ostdeutscher Sparkassenverband beantragt DSGV-Mitgliedschaft. Sparkassen bereiten Allfinanzangebot vor – Neuer Name“ von dieser historischen Sitzung, auf der u. a. auch die Umbenennung des DDR-Verbandes in „Ostdeutscher Sparkassen- und Giroverband“ erfolgte.
****Vgl. Vermerk zur 4. Besprechung mit der Leitung des DDR-Verbandes am 21. August 1990 in Berlin, Top II.1, Bonn, 27.8.1990. Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-75/2004, Bd. 1 | Der Vorläufige Verbandsrat des DDR-Verbandes beschloss außerdem bereits am 14. September 1990 die Bildung eines eigenen Einlagensicherungsfonds nebst Satzung für den „Sparkassenstützungsfonds des OSGV“ (Beschluss Nr. 32). Die Umsetzung in die Praxis erfolgte zeitnah. Vgl. dazu auch: Geiger, Walter ; Günther, Hans Georg: Neugestaltung des ostdeutschen Sparkassenwesens 1990 bis 1995, Stuttgart, 1998, S. 104f; Historisches Archiv des OSV, HA-69/2004.
*****Vgl. Vermerk zur 4. Besprechung mit der Leitung des DDR-Verbandes am 21. August 1990 in Berlin, Top II.12, Bonn, 27.8.1990. Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-75/2004, Bd. 1; Wilke, Olaf: Eigenheim-Kreditfrage ist offen. BZ-Interview mit Rainer Voigt, Präsident des DDR-Sparkassenverbandes, in: Berliner Zeitung, 46. Jg., 196. Ausg., 23.8.1990, S. 12 | Der Wohnungsbaukredit gehörte seinerzeit zu den bedeutendsten Kreditarten der DDR-Sparkassen. Im Rahmen der Aufgabenabgrenzung der Kreditinstitute der DDR konzentrierte sich das Kreditgeschäft der Sparkassen vor allem darauf sowie auf Investitionskredite für Handwerk und Gewerbe. Er machte 85 Prozent des gesamten Kreditbestandes aus bzw. 19 Milliarden Mark. 1989 führten die Sparkassen über eine Million Kreditkonten für den Wohnungsbau. Vgl. dazu auch: Geiger, Walter ; Günther, Hans Georg: Neugestaltung des ostdeutschen Sparkassenwesens 1990 bis 1995, Stuttgart, 1998, S. 209ff sowie ebd. S. 146ff Ausführungen zur endgültigen Klärung der Zinsanhebungen gem. Staatsvertrag vom 18. Mai 1990 und einer gleichzeitigen Abschaffung subventionierter Zinsen – einem durchaus komplizierten Rechtsvorgang, wie sich im Laufe intensiver Gespräche und mit Prüfung durch das Bundesfinanzministerium herausstellte. Im Ergebnis entstand das sogenannte Zinsanpassungsgesetz, das erst ein Jahr später am 1. Juli 1991 in Kraft trat.